Warum tut sich die Rechtsbranche mit Innovationen so schwer?

Während andere Wirtschaftsbereiche durch den Einsatz von innovativen Technologien in den letzten Jahren bereits kräftig umgewälzt wurden, tut sich die Rechtsbranche mit technologiegestützten, digitalen Innovationen schwer. Airbnb schickt sich bspw. an die Übernachtungsindustrie zu revolutionieren, Dropbox die Speicher- und Cloudindustrie, Transferwise die Bankindustrie usw. Biotech, Cleantech, Fintech, Medtech ist in aller Munde. Nur Anwälte scheinen von der allgemeinen Aufbruchstimmung wenig berührt zu sein. Business as usual statt Legal Tech in den Kanzleien.

Zwar haben E-Mail, Smartphone und elektronische Zeiterfassung Einzug in den Arbeitsalltag von vielen Juristen erhalten. Mancherorts wird auch mit automatisierten Vertragsgeneratoren und intelligenten Such- und Speicherformaten gearbeitet und experimentiert. Aber wirklich strukturelle Innovationen gibt es im juristischen Bereich bislang kaum. Im Grunde hat sich die juristische Arbeit in den letzten 100 Jahren kaum verändert. Kaum eine Kanzlei leistet sich eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung (siehe hierzu auch den interessanten Diskussionsbeitrag von Michael Grupp), die neue technologische Entwicklungen für den Rechtsanwendung aufgreift und für die Mandanten nutzbar macht. Angesichts der Größe und Bedeutung des weltweiten Rechtsmarktes, der auf mehrere 100 Milliarden EURO geschätzt wird, ist dies durchaus erstaunlich. Eine positiv zu erwähnende Ausnahme hiervon ist allerdings die Kanzlei Dentons, die mit ihrem Inkubator NextLaw Labs gezielt Startups, wie ROSS Intelligence Inc., fördert, die Technologie im Rechtsbereich einsetzen wollen.

Was sind die Gründe für dieses Innovationsdefizit? Mary Juetten kommentiert hierzu in einem Beitrag auf Forbes trocken: “A simplistic answer is that nobody wants to be replaced by technology and most people do not like change.” Dieser Satz fasst in der Tat einen Teil der Gründe prägnant zusammen. Juristen und Anwälte sind zumeist konservative, d.h. erhaltende und bewahrende, Zeitgenossen (siehe hierzu den lesenswerten Beitrag von Arthur Larson “The Lawyer as Conservative“), die allzu radikalen Veränderungen kritisch gegenüber stehen. Anwälte stechen nur selten als “early adopters” hervor. Auch mag eine gewisse Angst bestehen, irgendwann überflüssig bzw. ersetzbar zu sein. Nach meiner Erfahrung dürfte diese Angst bei vielen Anwälten aber eher untergeordnet sein, da die Möglichkeiten und Chancen die moderne Technologien im Rechtsbereich bieten im Zweifelsfall nicht bekannt sind und daher auch keine Bedrohung darstellen. Eine unterschwellige Angst oder Sorge wird bei dem einen oder anderem informierten Anwalt wohl allerdings mitschwingen.

Spricht man Anwälte auf die Chancen und Perspektiven von technischen Innovationen in der Rechtsbranche (Legal Tech) an, hört man (in der einen oder anderen Variation) häufig folgende Antwort: “Rechtsberatung ist ein zutiefst persönliche Dienstleistung, die auf jahrelanger Erfahrung und harter Arbeit beruht. Diese Erfahrung und die daraus resultierende Intuition ist zu komplex, um durch Technologie jemals ersetzt zu werden. Recht ist generell zu komplex für einen Computer. Legal Tech wird daher keine Chance haben.” Diese Bedenken sprechen einerseits die große Herausforderung an, die Legal Tech angesichts der komplexen juristischen Semantik und des ungeschriebenen Erfahrungswissen gegenübersteht. Eines ist klar: Legal Tech ist nicht einfach. Es wird aufwendiger Entwicklung und substantieller Investitionen bedürfen, um innovative Produkte zu entwickeln, die wirklich eine Verbesserung darstellen. Andererseits bieten die erwähnten Einwände aber auch eine allzu leichte Ausrede, um jeder weiteren Diskussion und Auseinandersetzung mit dem Thema aus dem Weg gehen zu können.

Aus struktureller Sicht ist zu bedenken, dass sowohl das Abrechnungsmodell (“hourly billing”) der meisten Kanzleien als auch das klassische Partnermodell (inklusive Altersstruktur) eine Innovationskultur eher nicht befeuern. Zudem sind Entscheidungsträger in Kanzleien bzw. Rechtsabteilungen häufig zu stark im “Alltagsgeschäft” und vielfältigen Verpflichtungen verhaftet, um sich ernsthaft mit den technologischen Neuerungen auseinander zu setzen. Es fehlt schlicht die Zeit. Richard Susskind bemerkte hierzu in einem Vortrag treffend: “Its not easy to change a wheel on a moving car.” Viele (ältere) Partner werden wohl auch insgeheim denken, dass es bislang ohne den “technischen Firlefanz” sehr gut lief. Der wirtschaftliche Erfolg vieler Kanzleien scheint ihnen Recht zu geben.

Diese Gründe zusammengenommen machen deutlich und menschlich verständlich, warum aus der Rechtsbranche (bislang) wenig Energie kam, den Einsatz von Legal Tech zu fördern, auszuprobieren bzw. zu entwickeln. Die Rechtsbranche sollte allerdings die mahnenden Worte von Peter F. Drucker im Hinterkopf behalten: “The enterprise that does not innovate inevitably ages and declines. In a period of rapid change such as the present the decline will be fast.”