Uthority: Behördenschreiben verstehen – Interview mit Marianna Matokhniuk (#GLH2019)

von Nico Kuhlmann

Am 22. – 24. Februar 2019 fand weltweit der zweite Global Legal Hackathon statt. Das Ziel dieser Veranstaltung ist, die Rechtsbranche mit Technologie und Innovation in einer Art und Weise zu verbinden, dass dadurch eine schnelle Entwicklung von Lösungen zur Verbesserung des Zugangs zum Recht erreicht wird. Ein Veranstaltungsort in Deutschland war unter anderem ReInvent Law in Frankfurt.

Eine der Teilnehmenden war Frau Marianna Matokhniuk. Sie hat einen Hintergrund als Juristin sowie Unternehmensberaterin und arbeitet gegenwärtig als Produktmanagerin bei einem Marktforschungs- und Beratungsinstitut. Mit ihrem Team hat sie nicht nur innerhalb von Stunden einen funktionierenden Prototypen gebaut, sondern die Jury in Frankfurt damit auch so sehr beeindruckt, dass sie den lokalen Wettbewerb gewonnen hat. In diesem Interview berichtet sie von ihren Erfahrungen und warum sie jetzt gern ein Ticket nach New York buchen möchte.

Nico Kuhlmann: Liebe Marianna, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst. Wie fühlst Du Dich? Viel Schlaf hast Du die letzten Tage doch wahrscheinlich nicht bekommen, oder?

Marianna Matokhniuk: Das stimmt. Wir alle waren sehr erschöpft. Andere Teilnehmende haben uns gefragt, wie wir feiern werden. Für Party-Machen hatten wir allerdings keine Energie mehr. Die drei Tage waren sehr intensiv – jeder hat alles gegeben.

Nico Kuhlmann: Du hast eine juristische Ausbildung absolviert, als Unternehmensberaterin gearbeitet und bist jetzt Produktmanagerin. Wie kam das alles zustande?

Marianna Matokhniuk: Ich war – ehrlich gesagt – von der Rechtsberatung in der Praxis etwas enttäuscht: Vieles erschien mir als unnötige Papierarbeit, bis auf Rechtsstreitigkeiten hat man kaum Feedbackschleifen. Mir fehlte das Gefühl, dass ich mit meiner Tätigkeit etwas bewegen kann. Daher habe ich beschlossen, in die digitale Welt einzusteigen und digitale Produkte für Kunden zu bauen, um die Ergebnisse meiner Arbeit greifbarer zu machen.

Nico Kuhlmann: Als Du zum Hackathon nach Frankfurt gefahren bist, wusstest Du da, was Dich erwartet? Hast Du bereits eine Idee für ein Produkt gehabt und wusstest Du, wer Deine Teammitglieder sein werden?

Marianna Matokhniuk: Auf alle drei Fragen ist die Antwort nein. Ich habe etwas über den Hackathon recherchiert und mir vom Veranstalter versichern lassen, dass ich für die Teilnahme nicht zwingend coden können muss. Ich habe gehofft, mich einem Team anschließen zu können und so ist es auch passiert. Mich hat das Thema Access to Justice schon länger interessiert und als ich den Pitch von Christian Hartz zu Behördenschreibenverstehen gehört habe, wusste ich sofort, da möchte ich mitmachen.

Nico Kuhlmann: Wie hat sich dann vor Ort Dein Team gefunden und wer war alles dabei?

Marianna Matokhniuk: Direkt nach den Pitches haben Interessierte Christian umkreist – alle, die die Idee überzeugend fanden. Behördenschreibenverstehen – daraus ist später Uthority geworden – war auch die einzige Access-to-Justice-Idee. Im Kern wollen wir durch eine App die komplizierte Amtssprache für Menschen mit einem Klick verständlich machen: Der Nutzer muss lediglich das Schreiben fotografieren und er erhält sofort eine kurze Zusammenfassung in der menschlichen Sprache und Vorschläge für nächste Schritte.

Ich glaube, jedes Teammitglied hatte eigene Erfahrungen, wenn ein behördlicher Brief kommt und man erst fünf Mal lesen muss, bevor man realisiert, was gewollt ist. Auch Juristen unter uns haben berichtet, dass sie zuerst recherchieren mussten, bevor sie das Schreiben nachvollzogen haben. Diese persönlichen Erfahrungen haben das Team zusammengeführt.

Das Team ist eine perfekte Mischung: drei Entwickler und fünf Juristen. Jeder hat etwas Einzigartiges mitgebracht, was schließlich für den Erfolg des Projektes sorgte.

Nico Kuhlmann: Wie lief dann die konkrete Arbeit ab? Wer hat welchen Teil übernommen und wer hat den Überblick behalten?

Marianna Matokhniuk: Aufgrund meiner Erfahrung im Produkt- und Projektmanagement habe ich die Planung übernommen. Es war wichtig, sicherzustellen, dass alle den gleichen Stand haben: Was ist das Endziel und welche Features soll unser Minimum Viable Product (MVP) beinhalten. Den Fokus zu behalten ist bereits die Hälfte des Erfolgs. Wir haben den User Flow definiert und unsere Entwickler haben mit Hochdruck daran gearbeitet, sodass ein Feature bereits am Samstagabend technisch funktioniert hat. Das User Interface kam erst später dazu. Regelmäßige Stand-ups haben dafür gesorgt, dass jeder immer auf dem aktuellsten Stand war. Ansonsten haben wir uns thematisch in drei Gruppen aufgeteilt: Entwickler-Team, Recherche-Team und Design-Team.

Nico Kuhlmann: Was war im Laufe des Hackathons der schönste Moment? Und was war vielleicht die größte Herausforderung, die Ihr bewältigen musstet?

Marianna Matokhniuk: Der schönste Moment? Vermutlich die Sekunde, als im Rahmen der Live-Demo die App funktioniert hat – da haben alle aufgeatmet. 30 Minuten vor dem Pitch hatten wir alle möglichen Schwierigkeiten: Da die Developer-Umgebung im Co-Working Space gebaut wurde, hatten die Entwickler Schwierigkeiten, sich im WLAN bei ReInvent zu verbinden. Ohne diese Verbindung ging es aber nicht, da wir schon eine erste Infrastruktur aufgebaut hatten und die Computer unserer Entwickler miteinander kommunizieren mussten. Zusätzlich gab es kein passendes Kabel für unseren iPhone-Adapter, um die Demo auf dem Fernseher zu zeigen. Über einige Umwege und eine Video-Konferenz haben wir es in den letzten Minuten geschafft, alles zum Laufen zu bringen. Es war richtig knapp. Die Ergebnisse der harten Arbeit am Ende nicht präsentieren zu können, wäre ein Super-GAU gewesen.

Nico Kuhlmann: Wie genau sah dann das erstellte Produkt aus? Welche Funktionen haben am Ende funktioniert und welche Erweiterungen hättest Du gern noch eingebaut?

Marianna Matokhniuk: Das Produkt ist eine native iOS-App. Folgende Funktionen haben wir gezeigt: 1) Fotografieren; 2) OCR-Erkennung in der deutschen Sprache; 3) Erstellung einer kurzen Zusammenfassung des Schreibens in einer “einfachen” Sprache; 4) Telefonkontakt zur Behörde; 5) Generieren von Antworten auf das Schreiben auf Basis unserer Vorlagen. Bestimmte Variablen aus dem Schreiben werden im Übrigen übernommen und die Antwort ist dadurch individualisiert. All das haben wir in der Live-Demo gezeigt.

Wir haben bereits angefangen zu brainstormen, welche weiteren Features wir für die nächste Runde einbauen. Im Raum steht eine Termin-Funktion, die mit dem iPhone Kalender integriert sein könnte, eine Einbindung von Google Places und unser Modell für weitere Sprachen zu trainieren. In den nächsten Tagen werden wir die Liste priorisieren.

Nico Kuhlmann: Wie lief am Ende des Hackathons Euer Pitch vor der Jury ab und was haben die anderen Teams vorgestellt?

Marianna Matokhniuk: Was andere Teams präsentiert haben, habe ich leider nur zur Hälfte mitbekommen. Ich habe noch kurz unsere Folien angeschaut, um mich vorzubereiten. Die Projekte, die ich gesehen habe, waren aber auch sehr überzeugend. Der Pitch vom Casesolver zu Online Dispute Resolution (ODR) war genial. Da dachte ich mir, es wird echt schwierig zu gewinnen.

Unser Pitch lief dann aber gut. Die Live-Demo hat funktioniert, wir hatten aber zu wenig Zeit, um die Ergebnisse unserer Nutzer- und Marktanalyse – 130 Umfragen und 2 Experten-Interviews – zu präsentieren. Auch bei der Vorstellung des Business Modells war es sehr knapp. Immerhin waren wir pünktlich nach 7 Minuten fertig.

Nico Kuhlmann: Ihr habt im Ergebnis den lokalen Wettbewerb in Frankfurt gewonnen. Nochmal meinen herzlichen Glückwunsch! Wie geht es jetzt weiter? Habt Ihr vor, das Produkt zur Marktreife zu bringen?

Marianna Matokhniuk: Auf jeden Fall. Da sind alle Teammitglieder d’accord. Ticket nach New York, zum Finale des Global Legal Hackathons, ist natürlich das erste Ziel, aber dort endet es nicht. Wir sind motiviert, weiterzumachen.

Nico Kuhlmann: Und wie sieht es mit dem Global Legal Hackathon konkret aus? Was ist die nächste Runde und was ist Euer Endziel?

Marianna Matokhniuk: Die nächste Runde ist virtuell – wir müssen eine Video-Präsentation abliefern. Wir sind gerade am Recherchieren, worauf es bei der nächsten Runde ankommt. In diesem Zuge suchen wir auch Mentoren beziehungsweise Finalisten des Global Legal Hackathons aus den Vorjahren, die uns mit Tipps helfen können. Das Endziel ist natürlich, den gesamten Global Legal Hackathon 2019 zu gewinnen, aber dort endet es wie gesagt nicht. Wir wollen weitermachen.

Nico Kuhlmann: Was war eigentlich Euer Preis und wollt Ihr diesen in die weitere Entwicklung Eurer App investieren?

Marianna Matokhniuk: Unser Preis sind neben dem Preisgeld in Höhe von 2.000 € noch zehn Entwickler-Tage beziehungsweise User-Experience-Experten-Arbeitstage sowie kostenfreies Hosting des Produktes über drei Jahre – gesponsort durch Wolters Kluwer.  Wir haben auf jeden Fall vor darauf zuzugreifen, um das Produkt zu finalisieren und auf den Markt zu bringen.

Nico Kuhlmann: Liebe Marianna, vielen Dank für das Interview. Ich drücke die Daumen und wünsche Euch viel Erfolg für New York!