Reformation des Rechts – Was Martin Luther mit Legal Tech verbindet

von Nico Kuhlmann

Als Juristen sind wir wie Priester einer lateinischen Bibel. Wir verstehen selbst nicht alles, aber die Allgemeinheit hat meistens absolut keine Ahnung.

Dieser Vergleich hinkt vielleicht bei genauerem Hinsehen an einigen Stellen, aber die grundsätzliche Aussage trifft durchaus zu: Juristen werden aufwendig und umfangreich wie kaum eine andere Berufsgruppe ausgebildet, aber aufgrund der enormen Komplexität und Vielschichtigkeit der Rechtsordnung müssen Sie sich im Endeffekt trotzdem oftmals auf ihr subjektives Rechtsgefühl verlassen. Die rechtsunterworfenen Bürgerinnen und Bürger  haben hingegen ohne Unterstützung durch die Organe der Rechtspflege kaum einen nennenswerten eigenständigen Zugang zum Recht.

Die Rechtsordnung ist ein System von Juristen für Juristen. Anstatt zu versuchen, die Zugänglichkeit zu erhöhen, gehört es immer noch bei vielen zum Berufsethos die  Mystifizierung des Rechts aufrechtzuerhalten.

Zugang zum Wort Gottes

Die Gläubigen hatten vor der Reformation ebenfalls regelmäßig keine unmittelbare Kenntnis von den Lehren des christlichen Glaubens. Die Bibel auf Latein blieb im Mittelalter dem Klerus vorbehalten. Übersetzungen, die teilweise bereits vor Luther existierten, waren verpönt. Die Kirche wollte ihr Deutungsmonopol nicht aus der Hand geben. Darum kannten bis in das 15. Jahrhundert die wenigsten Gläubigen das Buch der Bücher durch eigene Lektüre und hatten keinen unmittelbaren Zugang zum Wort Gottes. Dies änderte sich in Deutschland erst durch die von Martin Luther angestoßene Reformation. Durch die landesweit verständliche Übersetzung der Bibel wurde einer breiten Schicht der Bevölkerung ein einfacher Zugang zum Wort Gottes ermöglicht.

Der technische Fortschritt im Sinne der Erfindung des Buchdrucks begünstigte dabei die Verbreitung der Lutherübersetzung erheblich, die ansonsten vielleicht nur eine Randnotiz in der Geschichte geblieben wäre. Der moderne Buchdruck mit den auswechselbaren Lettern einer Satzschrift in der Druckerpresse, der die flexible, kostengünstige und schnelle Erstellung größerer Auflagen ermöglichte, wurde bereits einige Zeit vorher erfunden und fing an, sich in Europa zu etablieren. Der Buchdruck ermöglichte somit im Ergebnis eine günstige und massenhafte Vervielfältigung der Leistungen Luthers.

Der Erfolg dieser Erneuerungsbewegung zur Verbesserung des Zugangs zum Wort Gottes basierte demnach neben einigen anderen Gründen maßgeblich auf zwei Faktoren: der Person Martin Luthers, der Veränderung angemahnt und durch die Übersetzung der Bibel seinen Beitrag zur Verbesserung der Situation geleistet hat, und die Technologie des Buchdrucks, die geholfen hat, die Massen zu erreichen und ihnen die Bibel zugänglich zu machen.

Zugang zum Recht

In Zeiten der Digitalisierung hat Legal Tech nun ein vergleichbares Potential den Zugang zum Recht zu revolutionieren und mit dem Aufkommen der Künstlichen Intelligenz steht bereits die rudimentäre Form einer Technologie zur Verfügung, um die Reformation des Rechts voranzutreiben.

Bei Künstlicher Intelligenz im Recht geht es dabei nicht darum, dass ein Roboter mit schwarzer Robe und Aktentasche in einem Gerichtssaal plädiert. Vielmehr dient der Begriff der Künstlichen Intelligenz als Oberbegriff für verschiedene Konzepte und Anwendungen aus dem Softwarebereich. Dazu zählen unter anderem maschinelles Lernen (inklusive Deep Learning), vorhergehende Analysen (sog. Predictive Analytics) und die Verarbeitung natürlicher Sprache durch den Computer (sog. Natural Language Processing). Erste Versuche diese und andere technologischen Ansätze für einzelne Bereiche des Rechts nutzbar zu machen, sind bereits sehr vielversprechend. Rechtliche Dokumente können schon jetzt durch Vertragsgeneratoren auf Knopfdruck erstellt werden, Legal Chatbots unterstützen sofort und kostenlos bei einer vorläufigen Rechtseinschätzung und diverse Online-Dienste helfen dabei Ansprüche schnell und einfach von der heimischen Couch aus durchzusetzen.

Somit bleibt nur noch eine Frage offen: Wer erkennt die Zeichen der Zeit, übernimmt den Job des Martin Luthers des Rechts im Deutschland des 21. Jahrhunderts, nutzt die technologischen Entwicklungen und leistet im Ergebnis seinen Beitrag zur Reformation des Rechts? Freiwillige vor! Eventuell gibt es dann in 500 Jahren auch einen eigenen Feiertag.