Legal Tech Summer School in Berlin – Interview mit Prof. Dr. Breidenbach

von Nico Kuhlmann

Die verschiedenen Aspekte von Legal Tech kommen in der Juristenausbildung immer noch kaum vor. Angesichts der grundlegenden Bedeutung der Digitalisierung für die Zukunft des Rechts veranstaltet die Europa Universität Viadrina darum mit ihrem Legal Tech Center eine Summer School Legal Tech vom 24.-26. September 2018 in Berlin, um den Studierenden eine Möglichkeit zu geben, sich proaktiv mit diesem Thema zu beschäftigen. Organisiert wird die Summer School von Prof. Dr. Stephan Breidenbach (Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder) und RA Florian Glatz (Präsident des Bundesverbands Blockchain).

Nico Kuhlmann: Lieber Stephan, welche Bedeutung hat die Digitalisierung Deiner Ansicht nach für die Rechtsbranche und damit für die Ausbildung der nächsten Generation?

Stephan Breidenbach: Die Digitalisierung ergreift alle Bereiche unseres Lebens. Hierarchien lösen sich auf und werden durch wesentlich dezentrale Organisationsformen und Formen der Selbstorganisation abgelöst. Cloud-basierte Dienste ermöglichen eine vollkommen neue Form der Zusammenarbeit. Jeder kann etwas gemeinsam mit allen für alle entwickeln, wie das Flaggschiff Wikipedia es bereits seit Jahren erfolgreich zeigt. Wir leben unaufhörlich in einem Beta-Modus, in dem sich alles verflüssigt. In Echtzeit stehen wir ständig miteinander in Kontakt und greifen auf Informationen sofort zu. Wir haben Zugang statt Besitz, da tendenziell gegen Null gehende Vervielfältigungskosten offenen Zugang ermöglichen. Bezahlung wird durch open access abgelöst. Was digital ist, wird gemessen. Datenanalysen beschneiden unser privates Selbst und ermöglichen zugleich eine neue Sicht auf Muster, Korrelationen und Zusammenhänge. Machine Learning und Künstliche Intelligenz sind nach Kevin Kelly die neue Elektrizität. Jeder Schritt wird ein Stück weit „kognifiziert“ werden. Alle diese Entwicklungen schließen uns einen globalen Raum auf, den wir mit Bewusstsein füllen müssen.

Es wäre verrückt zu glauben, dass diese Veränderungen an den Juristen vorbeigehen. Die Digitalisierung wird unseren Umgang mit Recht verändern. Viele Rechtsgebiete lassen sich ohne digitale Kenntnisse nicht behandeln. Wiederkehrende Elemente, gerade in Verträgen und im Prozessvortrag, werden standardisiert und Bestandteil von digitalen Fertigungsstraßen werden. Juristen werden digitale Rechtsprodukte und Strategien entwickeln. Sie werden sich auf konsequente Prozesse einlassen müssen. Digitalisierung verlangt von Juristen, Regeln in Code abzubilden oder dies vorzubereiten und damit mehr Präzision. Sie werden mehr zusammenarbeiten – mit Entwicklern, Prozessspezialisten, Wissensarchitekten und Legal Engineers. Sie werden in vielen Detailfragen die Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz ausloten oder die Optionen von Blockchain zu Ende denken. Dazu müssen sie nicht weniger juristisch denken, sondern eher mehr. Digitalisierung erfordert Präzision im Denken und verlangt größere Aufmerksamkeit für Details. Unverändert wichtig ist daher das konkret-analytische Denken des Juristen, wie es insbesondere in der Falllösung geschult wird. Hier wird die Präzision entwickelt, die für die Gestaltung von Code-basierten Welten erforderlich ist. Klienten erwarten Weitblick für eine digitale Welt und keine Verweigerungshaltung. Technik liefert Juristen den Möglichkeitsraum, den es mit Vision und Kreativität zu füllen gilt.

Nico Kuhlmann: Unter dem Oberbegriff Digitalisierung werden verschiedenste Themen diskutiert. Was sind Deiner Meinung nach die drei wichtigsten Aspekte, die den größten Einfluss auf den Rechtsmarkt haben werden?

Stephan Breidenbach: Dies sind meiner Einschätzung nach die Industrialisierung, die Künstliche Intelligenz und die Blockchain-Technologie. Bereits jetzt läuft die Industrialisierung von Recht. Diese Standardisierung auf hohem Niveau erfasst Schritt für Schritt alle wiederkehrenden Elemente der juristischen Arbeit. Texte, Verwaltungsarbeit und Verträgen werden aus Bausteinen zusammengesetzt – Lego für Recht. Künstliche Intelligenz in Form von Machine Learning beginnt die ersten sinnvollen Anwendungen für Juristen zu zeigen, beispielsweise bei der Due Diligence oder bei der Bewertung von Verträgen. Und hier wird die Entwicklung schnell weitergehen. Die Blockchain hat ein enormes Potential für den Rechtsbereich, mit dem wir uns in diesem frühen Stadium der Entwicklung von Prototypen bereits auseinandersetzen sollten.

Nico Kuhlmann: Was erwartet die Studierenden im Rahmen der Summer School? Welche konkreten Fragen sollen besprochen werden?

Stephan Breidenbach: Das Spektrum der Themen ist groß. Es geht um die digitalen Entwicklungen, um Legal Tech, und nur am Rand um die sich daraus ergebenden Rechtsfragen. Alle drei wesentlichen Bereiche, Industrialisierung, Blockchain und Künstliche Intelligenz, werden behandelt. Wir beschäftigen uns mit Vertragsgeneratoren und digitalen Fertigungen von komplizierte Texten. Wir werfen einen Blick auf Verwaltungsautomatisierung. Es wird um neue Geschäftsmodelle für Juristen und neue berufliche Spezialisierungen gehen. Wir werden mit Legal Design arbeiten und uns mit digitaler Produktentwicklung auseinandersetzen. So entsteht ein Blick auf die nächsten zehn Jahre im Recht und die Möglichkeiten von jungen Juristen, ihre Zukunft zu gestalten.

Nico Kuhlmann: Wer sind die Dozenten? Hauptsächlich Professoren oder werden auch Praktiker und insbesondere Vertreter aus der Startup-Szene mit einbezogen?

Stephan Breidenbach: Die Dozenten sind angesichts des Themas überwiegend Gründer und Praktiker aus Startups, Kanzleien und Unternehmen, die an der Realisierung der digitalen Landschaft arbeiten. Die Startup-Szene von Berlin wird uns auch Exkursionen in die interessantesten Entwicklungslabore ermöglichen.

Nico Kuhlmann: Wird es auch praktische Übungen geben? Werden die Studierenden im Rahmen der Summer School insbesondere auch selbst programmieren?

Stephan Breidenbach: Es wird praktische Übungen geben. Die Teilnehmer erhalten insbesondere die Möglichkeit, eigene Legal Tech-Produktprototypen zu entwickeln. Jeder soll ein Gefühl dafür bekommen, was hier an Aufgaben und Möglichkeiten wartet. Dazu gehört auch eine erste Programmierpraxis.

Nico Kuhlmann: Gibt es Voraussetzungen für die Teilnahme und können die Studierenden auch ECTS-Punkte erwerben? Und welche Kosten kommen auf die Studierenden zu?

Stephan Breidenbach: Die wichtigsten Voraussetzungen sind Interesse und Begeisterungsfähigkeit. Ein technischer Hintergrund ist willkommen. Die Teilnahme ist kostenfrei – vielleicht finden wir sogar noch einen Sponsor für das Essen. Auf Wunsch kann mit einem Essay, auch in Form eines Konzeptes für ein Produkt, ein Seminarschein mit 9 ECTS-Punkten erworben werden.

Nico Kuhlmann: Vielen Dank für das Interview, lieber Stephan. Viel Erfolg für die Summer School!