Legal Tech Summer School in Berlin – Ein Erfahrungsbericht

von Dalia Moniat

Zukunftsorientierte Bildung innerhalb unserer deutschlandweiten Bildungseinrichtungen sollte als Gemeinschaftsaufgabe verstanden werden. Hierfür bedarf es unter anderem qualifiziertes Personal, offene Räumlichkeiten zur Potenzialentfaltung, kooperierende Institutionen, ein starkes Team von engagierten Menschen, die zeitgemäße Angebote für die junge Generation schaffen und wissbegierige junge Leute, die diese Angebote wahrnehmen und ihre Erfahrungen und Erkenntnisse in die Welt verbreiten.

All die entsprechenden Ressourcen und Personen zu bündeln, ist keine einfache Aufgabe. Doch es gelingt und um noch mehr Menschen für diese Ideen zu gewinnen, braucht es Vorzeigemodelle.

Die Juristenausbildung im digitalen Zeitalter – Notwendigkeit eines Vorbildmodells

Die Anforderungen an einen modernen Juristen steigen kontinuierlich mit der immer komplexer werdenden Umgebung, in der wir jungen Juristinnen und Juristen aufwachsen. Während sich technologische Errungenschaften exponentiell entwickeln, sitzen wir Jurastudierenden normalerweise in unseren Bibliotheksräumen, schreiben seitenlange Gutachten, lesen aus dicken Gesetzestexten, subsumieren Sachverhalte unter den Tatbestand einschlägiger Rechtsnormen und führen Meinungsstreitigkeiten aus, auf die es im konkreten Fall ankommt.

Zwar genießen wir mit unserer deutschen Juristenausbildung (weltweit) einen guten Ruf – der Methodik geschuldet, verbringen wir jedoch die meiste Zeit unserer Ausbildung im geschützten und isolierten Denkraum, ohne dadurch den Zugang zu praktischen Fragen der zunehmend technisierenden Gegenwart zu haben. Themen rund um die Digitalisierung, digitale Transformation und den sich vollziehenden Strukturwandel innerhalb der Arbeitswelt werden im Curriculum außen vor gelassen.

Dabei sind Fragen rund um die strategische, inhaltliche und organisatorische Ausrichtung von Juristinnen und Juristen in Zeiten von Blockchain, KI und Co. für den eigenen Berufsstand existenziell wichtig.

Indem man sich proaktiv gestalterisch in die Diskussion einbringt, wird man der großen Relevanz der Thematik – nämlich die Frage nach einer notwendigen digitalen Bildung – eher gerecht werden, als wenn man sich nur über die fehlende Ausbildungsreform ärgert. Vielleicht wird sich auf der juristischen Fakultätslandschaft nicht mehr tun, als das was wir bislang an Impulsen von Akteuren aus der Privatwirtschaft und studentischen Initiativprojekten verzeichnen können – es gibt aber auch akademische Leuchtturmprojekte mit Aussicht auf verbesserte Studienbedingungen, auf die wir aufmerksam machen sollten:

Die erste akademische Legal Tech Summer School von Prof. Dr. Stephan Breidenbach und Florian Glatz betrachte ich als meinen Legal-Tech-Highlight des Jahres in der Kategorie „Beste Lehre“. Sie gehört zu den akademischen Leuchtturmprojekten, die unbedingt fortgeführt werden müssen und einer größeren Reichweite bedürfen, damit in Zukunft neue Formen der Kooperation geschaffen werden und Studierende nach wie vor von dem hochwertigen kostenlosen Ausbildungsangebot profitieren können.

Vom 24.-26. September fand die Legal Tech Summer School in den Räumlichkeiten des Berliner Standorts von Mazars, einer weltweit tätigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, statt.

Zuvor konnten sich Jura-Studierende und Referendare kostenlos für die Teilnahme an der Summer School registrieren. Die Leitung und Organisation des dreitägigen Events erfolgte durch Prof. Dr. Stephan Breidenbach (Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder) und Rechtsanwalt Florian Glatz (Präsident des Bundesverbands Blockchain) sowie durch das Team des Legal Tech Centers.

Grundmechanismen der Digitalisierung begreifen

Zunehmende Komplexität, Dezentralisierung, fachübergreifende Kollaboration und fortführender Strukturwandel in Organisationen und Organisationsverständnis bedingen ein ausgeprägtes Verständnis von wirtschaftlichen, rechtlichen, gesellschaftspolitischen und technischen Zusammenhängen, vernetztes Denken und die Rückführung des Menschen als autonom denkendes Wesen mit Bedürfnissen in den Mittelpunkt von Geschäftsprozessen, Dienstleistungen und modernen Geschäftsmodellen.

So hatten es sich die Veranstalter zur Aufgabe gemacht, den ca. 80 teilnehmenden Studierenden innerhalb kürzester Zeit wichtige Grundmechanismen der Digitalisierung und ihre Auswirkungen im Recht verständlich zu machen.

Neben zahlreichen Input-Sessions vom Veranstaltungsteam und externen Gästen (Führende Wissenschaftler, Praktiker und Startup-Unternehmerinnen) gab es darüber hinaus interaktive Gruppenarbeitsprozesse. Natürlich darf in modernen Lehrprogrammen der Gamification-Ansatz nicht fehlen – daher wurde die Veranstaltungsreihe mit einem Ideenwettbewerb und der Verleihung des Legal Tech Student Awards für den gelungensten Ideen-Pitch abgeschlossen.

Tag 1- Montag, 24. September 2018: Visual Law: Sichtbarmachen von Regelwerken durch Visualisierungsmethoden

Am ersten Tag wurden wir von Prof. Dr. Breidenbach und Dr. Tilo Wend in die Welt der Regeln eingeführt, in der wir uns eigentlich seit Beginn unseres Studiums wohlbehütet und vertraut fühlen. Im Vergleich zur frontalen Vorlesungspraxis hat uns Prof. Dr. Breidenbach seine Sicht auf die Komplexität von Regelungsstrukturen in praxisorientierter Weise dargelegt, indem er eine von ihm entwickelte Methodik vorgestellt hat, mit der man sämtliche Ansprüche und ihre strukturellen Begebenheiten im zivilrechtlichen Regelungszusammenhang visuell aufbereiten kann. Mithilfe der sog. „Rulemapping“-Methode lassen sich beispielsweise Ansprüche, die in Wissensbäumen eingearbeitet wurden, besser in regelbasierte Systeme überführen. Zudem lassen sich eingeschlichene Fehler schneller finden, sodass auch die Folgerichtigkeit der Ausarbeitung einer präzisen logischen Prüfung unterzogen werden kann.

Hierzu werden die entsprechenden Normstrukturen offengelegt, in einer grafischen, visuell ansprechenden Wissensarchitektur eingeordnet und auf ihre Schlüssigkeit hin überprüft.

Die Methodik lässt sich nicht nur auf Gesetzestexte, sondern für juristische Texte aller Art anwenden. Breidenbach sprach auch von „Decodierung von juristischen Texten“, um gewonnene Erkenntnisse aus juristischer Literatur, aus Normtexten, Verträgen, Gesetzesentwürfen etc. In logische Zusammenhänge zu überführen.

„Das Schicksal von Regeln ist code“ und nach Breidenbach ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sämtliche rechtliche Regelungen in automatisierte Prozesse eingebettet werden und sich selber vollstrecken („Embedded Law“). Wer jetzt denkt, dass Juristen dadurch obsolet werden, hat sich getäuscht. Mit der zunehmenden Komplexität von Software-Anwendungen wird auch erforderlich sein, dass wir mit der Kompliziertheit, wie wir sie aus der Juristerei kennen, umgehen können und komplexe technische Standards setzen – Technische Regulierung wird wichtiger denn je sein und dafür benötigt es kompetente Juristinnen und Juristen, die technisches Verständnis und Strukturwissen nachweisen. 

Der erste Tag hat einen wesentlichen Grundbaustein in der Erkenntnis unserer Stärken und Schwächen als Rechtsanwenderinnen und Rechtsanwender gelegt. Als wertvolle Vorarbeit dient die Rulemapping Methode in vielfacherweise, um die Industrialisierung und Automatisierung des Rechts voranzubringen, interdisziplinär an Schnittstellen zu arbeiten und das fundamentale juristische Wissen in Systeme zu übertragen.

Die Arbeit von sog. Wissensarchitekten (Legal Architects) durften wir anhand von zahlreichen praktischen Gruppenübungen an konkreten Vertragswerken und Normstrukturen erfahren. Es hat unheimlich viel Spaß gemacht, gemeinsam mit anderen Studierenden und Absolventen an derselben Fragestellung der Strukturanordnung zu grübeln und entsprechende Wissensbäume herauszuarbeiten. Mit der Zeit wurde die Methodenarbeit sogar effektiver und schneller.

Mit der Methodik- und Wissensvielfalt ausgestattet, gelingt es uns durch Visualisierungsmethoden auch die Kommunikationsbrücke zu anderen Fachdisziplinen zu schlagen, diese in unseren komplexen Denkmustern einzubinden und gemeinsame (technische) Lösungen zu entwickeln.

Tag 2- Dienstag, 25. September 2018: Industrielle Rechtsdienstleistungen

Am zweiten Tag lernten wir mit dem Veranstaltungsblock rund um das Thema „Industrielle Rechtsdienstleistungen“ kennen, in welcher Weise sich der Rechtsdienstleistungsmarkt und die anwaltliche Tätigkeit durch neue Geschäftsmodelle wandelt und welche neuen Chancen und Herausforderungen für das Recht entstehen.

Praktische Einblicke zum technisch gestützten Umgang mit Massenverfahren gab es beispielsweise von Rechtsanwalt Phillip Caba, Gründer von GDR, der uns in spannender Weise berichtete, wie intelligentes Fallmanagement aussehen könnte und welche Fähigkeiten hierzu erforderlich sind. Gemeinsam mit den Teilnehmern überlegten wir anschließend, welche Massenverfahren – neben dem VW-Dieselskandal oder den Flugverspätungskonstellationen- denkbar sind und was das für die Entwicklung von Rechtsdienstleistungen heißt – ohne geeignete Datenbanken und Massenverfahrenstaugliche Software ist eine Bewältigung derartiger Sachverhalte unvorstellbar. Dies bezeugten auch die die Legal Tech Experten von Freshfields ( Dr. Gerrit Beckhaus, Frank Felgenträger und Laura Knoke) während des Lunch-Talks zum Thema: Digitale Aufrüstung in der Großkanzlei.

Insbesondere Dr. Gerrit Beckhaus verwies darauf, dass eine frühzeitige Auseinandersetzung mit derzeitigen Entwicklungen auf dem Rechtsdienstleistungsmarkt an der Schnittstelle zwischen Recht und Technologie unerlässlich ist und an niemanden mehr vorbeiziehen darf.

In praktischer Hinsicht durften wir mit Dr. Tilo Wend anschließend ein Rechtsdurchsetzungs-Tool zum Themenspektrum Bußgeldbescheide konzipieren. Hierzu waren wir zunächst aufgefordert, in stiller Gruppenarbeit zu überlegen, welche besonderen Anforderungen an ein Einspruchsschreiben zu stellen sind und wie wichtige und streitentscheidende Informationen in einem Tool durch Daten, Variablen etc. abgefragt und abgebildet werden können.

Während der zweiten Tageshälfte widmeten wir uns der Blockchain-Technologie.

Florian Glatz führte uns in die Welt der Blockchain- und Smart Contracts ein, indem er uns die Grundfunktionen und Anwendungsbereiche näher erläuterte. Obwohl das Thema Blockchain auf den ersten Blick sehr abstrakt und schwer zu durchdringen zu sein scheint, hat Florian mich zum Entwerfen eines kleinen Smart Contracts im Rahmen einer Arbeitsgruppen-Session überzeugen können und für erste Aha-Momente gesorgt. Seine Einführung war unterhaltsam und informationsreich zugleich! Für diejenigen, die mit Blockchain und Smart Contracts nichts anfangen konnten, gab es eine parallel stattfindende Session zur Prozessautomatisierung mit dem Tool von Neota Logic.

Auch wenn der Durchbruch der Blockchain-Technologie in vielen Branchen und Wertschöpfungsprozessen bislang noch ausgeblieben ist, ist die Relevanz der Technologie nicht abzustreiten. Unter bestimmten Gesichtspunkten bieten sich auch für Juristinnen und Juristen spannende Schnittstellen und Projekte an, um mit Blockchain-Themen zu arbeiten. Das hierbei erlangte Grundwissen über die Funktionsweisen von Smart Contracts und der Unterschied zu Smart Legal Contracts ist hierbei sicherlich von Vorteil.

Ein wesentlicher Aspekt des zweiten Teils war auch die Frage nach der Zukunft des Rechts.

Durch die Beschleunigung von automatisierten Prozessen werden unter anderem vielfältige Fragen  Smart Enforcements aufgeworfen. Hierzu hat Nico Kuhlmann (Master of Innovation, Hogan Lovells) provokante Zukunftsthesen aufgeworfen, wie sich das Recht in Zukunft selber vollstrecken könnte.

Zum Schluss durften wir von Prof. Dr. Stephan Breidenbach noch einige seiner Gedanken zur radikalen Veränderung des Rechts hören. Breidenbach ermutigte uns, unser erlerntes Rechtsverständnis und die erlangten Fähigkeiten dafür zu nutzen, den Zugang zum Recht zu erleichtern und uns für mehr Qualität und Transparenz einzusetzen. In Zeiten von Legal Tech ist dies eine sehr erfreuliche und positive Entwicklung des Rechts, die seit langem schon fällig war. Umso erfreulicher ist, dass wir als junge Generation an der Gestaltung des Rechtssystems unmittelbar beteiligt sein können und Verantwortung tragen dürfen.

Tag 3- Mittwoch 26. September 2018: KI, Machine Learning, juristische Entscheidungsfindung und Gründungsstrategien für Legal Tech Dienste

Am dritten und letzten Tag der Summer School setzten wir uns mit Fragen rund um Künstliche Intelligenz und Machine-Learning auseinander. Hierzu berichtete uns Tom Brägelmann  von seinen Erfahrungen und Einschätzungen hinsichtlich des technischen Einflusses in der anwaltlichen Berufspraxis. Die Frage, ob wir zukünftig von Robot-Anwälten ersetzt werden, konnten wir im Rahmen eines von Tianyu Yuan (Lex Superior) abgehaltenen spontanen Vortrags über Subsumtionsmaschinen ausdiskutieren.

Dr. Joana Breidenbach (betterplace.org) erzählte anschließend in einem spannenden Vortrag zum Thema: Digital ist anders – ihre Ansichten zum New Work-Phänomen. Mit neuen Formen der Arbeitsweise kennt sich die Anthroplogie-Expertin und Gründerin von betterplace.org, dem betterplace lab und weiteren Startups herrvoragend aus, sodass sie mit uns viele ihrer persönlichen Erfahrungen aus der Zusammenarbeit in agilen Teams weiter teilen konnte und wir so von neuen Impulsen, Best Practice-Beispielen und Fehlentscheidungen profitieren konnten.

Nach einem weiteren Vortrag über Finanzierung von Gründungen von ICOs (Michael Rinas, Mazars), einer einprägsamen Lehreinheit zu Marketingstrategien und neuen Geschäftsmodellen (Jan Ginhold, Gründer geblitzt.de) sowie einem Gründer-Panel durften wir Teilnehmenden das erlangte Wissen in konkreten Ideen umsetzen und diese im Rahmen einer kleinen Pitch-Session präsentieren.

Wir wurden ermutigt, Ideen einzubringen und aus dem Pool an Ideen Gruppen zu bilden, um diese in einer intensiven Gruppenarbeitsphase mittels eines Business Model Canvas zu einem skalierbaren Geschäftsmodell zu konzipieren.

Hierfür bekamen wir zwei Stunden Zeit. Innerhalb dieser intensiven zwei Stunden durften wir gemeinsam Konzeptideen auswerten, gestalterisch werden und unser gewonnenes Wissen in hands-on Erfahrung einfließen lassen. 

Anschließend durften neun Gruppen ihre Geschäftskonzepte vor einer Fachjury innerhalb von zwei Minuten präsentieren.

Der persönliche Mehrwert von interaktiven Lehrangeboten

Unser Kernteam – bestehend aus 10 Teilnehmern  gewann erfreulicherweise den ersten Preis und damit den Legal Tech Student Award von Mazars für das beste Konzept. Unabhängig von der Auszeichnung ist die Zusammenarbeit mit meinem Team ein großer Gewinn für mich gewesen.

So lernte ich innerhalb weniger Stunden viele interessante Menschen kennen, konnte mich mit denen fachlich und gestalterisch austauschen und gemeinsame Ideen umsetzen. Der aktive Gruppenprozess im Rahmen der Summer School ist für mich in vielfacher Hinsicht akademisch wertvoll gewesen. Der Austausch mit Gleichgesinnten aus anderen juristischen Fakultäten hat die Zusammenarbeit positiv geprägt. Ein deutschlandweites akademisches Projekt ist für die Vernetzung im deutschen Raum hinsichtlich zukünftiger Legal-Tech-Projekte förderlich und wird dem Gedanken der vernetzten Welt gerecht.

Im Anschluss an die Veranstaltung konnten wir im Rahmen eines Ausklangs unsere Kontakte ausbauen, neue Freundschaften schließen und so das Netzwerk von Juristinnen und Juristen im digitalen Raum erweitern.


[Dalia Moniat studiert Rechtswissenschaft an der Universität Hamburg und hat im Rahmen ihrer Tätigkeit bei der Cyber Law Clinic eine studentische Legal Tech-Initiative (Initiierung einer Veranstaltungsreihe und eines akademisches Seminars) begründet, um die Thematik rund um Legal Tech (voranschreitende Digitalisierung der Rechtsbranche) mit interaktiven und interdisziplinären Lehrangeboten für Jurastudierende aufzubereiten.]

[Der Beitrag ist auch auf dem Blog allaboutlegaltech.de unter https://www.allaboutlegaltech.de/2018/10/legaltech-summer-school-an-der-universitaet-viadrina/ erschienen]