Legal Tech in Deutschland: Rückblick 2016 und Ausblick 2017

von Micha-Manuel Bues und Nico Kuhlmann

Wenn man in einiger Zeit auf das Jahr 2016 zurückblickt, wird man dieses Jahr wohl als wahre “Geburtsstunde” von Legal Tech in Deutschland beschreiben. Während zu Beginn des Jahres 2016 das Thema für die meisten deutschen Juristen noch völliges Neuland war, ist Legal Tech mittlerweile in aller Munde. Mehrere Konferenzen sowie unzählige Zeitschriften- und Blogbeiträge zeigen, dass Legal Tech in den Köpfen der Anwälte, Rechtsabteilungen und Kanzleien endgültig angekommen ist. In der Rechtsbranche scheint sich die Erkenntnis Bahn gebrochen zu haben, dass Digitalisierung auch Juristen betrifft und angeht.

RÜCKBLICK 2016

Konferenzen

In 2016 hat sich eine kleine aber feine Legal Tech-Szene in Deutschland etabliert. Neben vielen lokalen Legal Tech Meetups, unter anderem in Berlin, Hamburg und Frankfurt, fand im September in Köln der viel beachtete, erste Anwaltszukunftskongress statt. Rund 360 Teilnehmer nutzten die Gelegenheit, um sich intensiv mit wichtigen Zukunftsfragen der Rechtsbranche auseinanderzusetzen. Verschiedene Experten, darunter Richard Susskind, Bestsellerautor von „Tomorrow´s Lawyers“, gingen darauf ein, wie sich die Strukturen und Arbeitsweisen in den Kanzleien ändern müssen, um die Herausforderungen der Digitalisierung zu bewältigen.

Neben dem Anwaltszukunftskongress hat sich bereits die Herbsttagung des Bucerius Center on the Legal Profession als zentrale und zunehmend internationale Plattform für die Themen Legal Tech & Innovation etabliert. Dieses Jahr stand die 6. Herbsttagung unter dem Titel “Managing Complexity – Legal Function 4.0“. Im Rahmen dieser Tagung haben vor allem Unternehmensjuristen von ihren Erfahrungen berichtet und Möglichkeiten vorgestellt, wie eine Rechtsabteilung im digitalen Zeitalter funktionieren kann.

Neben den erwähnten Konferenzen hat sich auch die Tagung mit dem Titel „Computational Methods in Law“ der Universität Ulm intensiv mit einem akademisch akzentuierten Ansatz mit dem Thema Legal Tech beschäftigt.

ELTA

In 2016 hat die Legal Tech-Branche in Deutschland auch erste professionelle Strukturen herausgebildet. Im Oktober 2016 wurde die ELTA, die European Legal Tech Association, in Berlin als zentraler europäischer Verband gegründet, um die Interessen aller Stakeholder im Bereich Legal Tech zu bündeln und gegenüber Politik, Industrien und Regulatoren zu vertreten. Weiterer Zweck des Verbands ist die gezielte Förderung der Bekanntheit von technologie- und softwaregestützten Lösungen und Prozessen in der Rechtsbranche sowie die Vernetzung von Unternehmen, Kanzleien, Startups und Initiativen, die im Bereich Legal Tech & Innovation aktiv sind.

Presse

Das Thema Legal Tech ist in vielfältigen Publikationen diskutiert und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Um nur einige Beispiele zu nennen: AZUR berichtete von Legal Tech auf dem Siegeszug, Soldan begutachtete die wachsende Legal Tech-Szene in Deutschland, JUVE war der Ansicht, dass Rechtsabteilungen und Kanzleien die Chancen von Legal Tech verschlafen und LTO brachte es auf den Punkt: An Legal Tech kommt keiner vorbei.

Aber nicht nur die Fachpresse hat sich dieses Themas angenommen. Auch die allgemeine Presse ist auf Legal Tech aufmerksam geworden. Die Süddeutsche Zeitung erklärte, wie die Rechtsberatung aus dem Netz funktioniert, Zeit Online beschrieb, wie man mit Legal Tech automatisch Recht bekommt. Die Neue Züricher Zeitung hat einen Artikel über den Juristen im digitalen Holozän veröffentlicht (für diejenigen, die sich mit der Erdgeschichte nicht so gut auskennen, das Holozän ist unsere Gegenwart) und die Frankfurter Allgemeine Zeitung prognostizierte, dass der Computer Anwalts Liebling werden wird.

AUSBLICK 2017

Der Jahreswechsel bietet die Gelegenheit, innezuhalten und einen Ausblick zu wagen, welche Entwicklungen des Jahr 2017 bestimmen könnten:

Digitalisierungsstrategie

Im Jahr 2017 wird es zur konkreten Ausbildung einer Digitalisierungsstrategie in vielen Kanzleien und auch Rechtsabteilungen kommen. Digitalisierung kann nur gelingen, wenn eine Vision und Idee davon entwickelt wird, wie neue digitale Geschäftsmodelle und Produkte aussehen könnten. Hierbei wird auch klarwerden, dass Digitalisierung nicht das schlichte Installieren von bestimmten Tools bedeutet, sondern einen ganz neuen Blick auf bestehende Geschäftsmodelle, Produkte und Prozesse erfordert. Die Definition einer Digitalisierungsstrategie ist herausfordernd, wird aber denjenigen Kanzleien, die im Jahr 2017 damit beginnen, Wettbewerbsvorteile sichern.

Innovationsschub durch Rechtsabteilungen

Rechtsabteilungen werden in 2017 Motor für die Digitalisierung der Rechtsbranche sein. In der deutschen Industrie ist die Digitalisierung bereits im vollen Gange. Die Digitalisierung in Produktion und Produkt bringt auch für Rechtsabteilungen ganz neue Herausforderungen und einen zunehmenden Bedarf an neuen digitalen Produkten

Neue Abrechnungsmodelle

Durch den zunehmenden Einsatz von Legal Tech-Tools wird es in 2017 auch Auswirkungen auf die traditionellen Abrechnungsmodelle von Kanzleien geben. Technologieeinsatz wird Festpreise aber auch gänzlich neue Monetarisierungsstrategien hervorbringen.

Plattformen

Plattformen für Rechtsberatung im Internet (z.B.: Advocado, Legalbase oder Jurato) werden aufgrund ihrer Transparenz immer beliebter werden. Ähnlich wie bei Beförderungs- oder Übernachtungsdienstleistungen (UBER, AirBnB etc.) werden diese Unternehmen als Vermittler von Rechtsdienstleistungen einen immer höheren Stellenwert einnehmen.

Legal Analytics

Die Analyse von rechtlichen Daten und darauf aufbauende, vorhersagende Analysen (sog. Legal Analytics) werden über kurz oder lang auch nach Deutschland kommen. Das betrifft nicht nur die Auswertung von behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen, sondern kann auch die Performance von Rechtsanwälten umfassen.

Künstliche Intelligenz

Ein weiterer Trend in 2017 wird der verstärkte Einsatz von Künstlicher Intelligenz – basierend auf Machine Learning oder regalbasierten Lösungen – bei Anwälten und Kanzleien sein, um repetitive und leicht zu standardisierende Aufgaben zu vereinfachen und zu beschleunigen.

Cloud

In der deutschen Industrie ist insgesamt zu beobachten, dass viele Firmen ihre kritische Einstellung zu Cloud-Lösungen überdenken und nunmehr gezielt auch cloudbasierte Softwarelösungen setzen. Diese Entwicklung wird auch bei Anwälten und Kanzleien zu beobachten sein. Hierdurch wird die Anzahl leicht zu nutzender und preisgünstiger Legal Tech-Produkte steigen.

Chatbots

Eine weitere interessante Entwicklung in 2017 wird der Einsatz von Chatbots im Rechtsbereich sein. Chatbots sind Programme, die automatisiert mit Nutzern kommunizieren können. Chatbots werden bereits zunehmend in der Kundenkommunikation eingesetzt. Auch im Rechtsbereich ergeben sich interessante Anwendungsgebiete, insbesondere in Bereichen, in denen es eine hohe Anzahl von relativ gleich gelagerten Fällen gibt. Ein Chatbot, der bei Strafzetteln in London und anderen Städten „berät“, sorgt bereits für Furore und mit LawDroid gibt es auch einen Chatbot, der in Kalifornien bei der Gründung von Unternehmen Unterstützung leistet.

Inkubatoren

Schließlich werden 2017 weitere Legal Tech-Inkubatoren gegründet werden, die Startups innerhalb eines bestimmten Zeitraums durch intensives Coaching und Anschubfinanzierungen unterstützen. Dentons und LexisNexis sind diesbezüglich bereits vorangeschritten. Andere werden folgen, um bildlich gesprochen einen Fuß in die Tür zum Fortschritt zu bekommen.

Legal Innovation Award

Eine Neuheit in der deutschen Legal Tech-Szene wird in 2017 die erstmalige Verleihung des Legal Innovation Awards sein. Prämiert werden neue Ideen und Lösungen, die innovativ und erfolgreich auf aktuelle Marktherausforderungen reagieren. Rechtsabteilungen, Kanzleien und Dienstleister können sich mit ihren Projekten um diese Auszeichnung bewerben.

Tagungen

Am 20. Januar findet an der LMU München die Konferenz zur Digitalisierung des Rechtswesens statt. Betrachtet werden die Folgen der Digitalisierung für die anwaltliche Rechtsberatung, die außergerichtliche Streitbeilegung und das Verfahren vor den Zivilgerichten. Anschließend wird vom 8. bis 10. Februar die Berlin Legal Tech 2017 die Szene in die Hauptstadt ziehen. Die drei großen Themenbereiche des Events sind Blockchain, Industrialisierung und Künstliche Intelligenz. Die dreitägige Veranstaltung beginnt im Übrigen mit einem Hackathon, auf dem Juristen und Softwareentwickler gemeinsam Themen identifizieren und zusammen direkt Lösungen entwickeln.

Im Mai wird dann der Deutsche Anwaltstag unter dem Titel “Innovationen und Legal Tech” in Essen veranstaltet. Das Motto verspricht eine Auseinandersetzung mit der Rechtsberatung von morgen, wie diese der Anwaltsverein bereits mit seinem Forschungsprojekt zum Rechtsdienstleistungsmarkt 2030 in den Blick genommen hat. In der zweiten Hälfte des Jahres wird wieder der Anwaltszukunftskongress, diesmal in Düsseldorf, sowie die Herbsttagung des Bucerius Center on the Legal Profession, wieder in Hamburg, stattfinden.

In diesem Sinne: Auf ein innovatives Jahr 2017!