Legal Tech 2017: Ein Rückblick in 10 Punkten (Teil 2)

Das ist der zweite Teil des Rückblicks auf das Legal Tech-Jahr 2017. Den ersten Teil finden Sie hier.

6. Chatbots

Chatbots haben im Jahr 2017 einen wahren Siegeszug in der Rechtsbranche angetreten. Chatbots oder kurz Bots sind textbasierte Dialogsysteme. Sie bestehen aus einer Textein- und -ausgabemaske, über die sich in natürlicher Sprache mit dem dahinterstehenden System kommunizieren lässt. Chatbots eignen sich im Bereich Legal Tech gut für die initiale Kommunikation mit Mandanten, um sie zu bestimmten Informationen zu lotsen bzw. den Sachverhalt effizient und digital zu erfassen. Die Technologie ist überdies nicht sonderlich kompliziert und es ist auch für den Juristen leicht nachvollziehbar, warum ein gut programmierter und kontinuierlich trainierter Chatbot billiger und sinnvoller sein kann, als bspw. ein Callcenter.

Chatbots sind im Bereich Legal Tech fast schon untrennbar mit dem Namen Joshua Browder und seinem Chatbot “DoNotPay” verknüpft, der unlängst von der MIT Technologie Review als “Innovator under  35” ausgezeichnet wurde. Im Rahmen der “Berlin Legal Tech” im Februar 2017 wurden zwei interessante Chatbot-Prototypen vorgestellt: Der erste für den rechtssuchenden Bürger, der zweite für die Optimierung der Arbeitsorganisation in Anwaltskanzleien. Ein Team aus der Ukraine entwickelte einen Chatbot namens „Consumranger“. Er läuft über Telegram und erstellt anhand von abgefragten Nutzerdaten ein rechtliches Schreiben, welches dem Anwalt lediglich zum Unterzeichnen vorgelegt werden muss. Den ersten Platz des Legal-Tech-Hackathons belegte die virtuelle Kanzlei-Assistentin “RenoJane”. Durch sie können Anwälte bestimmte Kanzlei-Software via Sprachbefehl steuern. Das Entwickler-Team griff dabei auf Apples Siri als Schnittstelle zurück.

Im Jahr 2017 wurden spannende Chatbot-Projekte gelauncht, die viel Zukunftspotential haben:

Joshua Browders Chatbot:

Chatbot der Kanzlei Ratis

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

7. Legal Tech war erfolgreich

Legal Tech war in 2017 im Großen und Ganzen sehr erfolgreich. Im deutschen Markt haben sich insbesondere folgende Unternehmen im Jahr 2017 erfolgreich festgesetzt oder wurden neu gegründet:

Zu nennen ist bspw. das Berliner Unternehmen Flightright mit Gründer Philipp Kadelbach, das nach eigenen Angaben bereits Entschädigungen für Flugverspätungen im Wert von weit über 100 Millionen Euro durchgesetzt hat. Im Jahr 2017 wurde das neue Angebot “Flightright Now“, mit dem vollautomatische Sofort-Auszahlungen an Kunden innerhalb weniger Minuten möglich sind, gelauncht. Für diesen Service hat Flighright einen Algorithmus gebaut, der die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Klage mit Hilfe von Big Data und Legal Analytics auf Basis von 35.000 ausgewerteten Gerichtsverfahren berechnet. Viele weitere Anbieter wurden im Jahr 2017 in diesem Bereich gegründet.

Das Portal geblitzt.de rund um Gründer Jan Ginhold, das automatisiert und kostenlos Bußgeldbescheide prüft, hat in 2017 – nach einer viel beachteten Dokumentation auf Galileo – den endgültigen kommerziellen Durchbruch geschafft und wirft insgesamt ein positives Licht auf die Legal Tech-Szene, da die Kunden des Unternehmens tatsächlich zu einem Mehr an Rechtsdurchsetzung kommen. Rightmart.de, gegründet von Marco Klock, ist eine Plattform mit angeschlossener Kanzlei, die mit der Prüfung von Hartz-IV-Bescheiden und weiteren Produkten sehr erfolgreich am Markt unterwegs ist. Für 2018 planen sowohl geblitzt.de als auch rightmart.de neue Angebote und Produkte.

Auch die seit Jahren präsenten Marktplatz-Angebote für anwaltliche Dienstleistungen, wie z.B. Anwalt.de, sind in 2017 überdurchschnittlich gewachsen. Auch 123recht.net hat sein Angebot im Jahr 2017 mit der Gründung einer neuen digitalen Kanzlei namens “Prime” und einer Kooperation mit IBM Watson weiterentwickelt. Das Greifswalder Startup Advocado rund um Gründer Maximilian Block hat sein Angebot ausgebaut und u.a. einen Service für Amazons Alexa startet.

Advocado, Synergist.io und das Berliner Unternehmen Leverton haben in diesem Jahr u.a. mit hohen Finanzierungsrunden auf sich aufmerksam gemacht.

Die ARAG, größter Rechtsschutzversicherer in Deutschland, hat Anfang 2017 in Köln einen “digitalen Rechtsdienstleister” namens Justix gegründet, der ein volldigitales Beratungssystem in mehreren europäischen Länder ausrollen soll.

Auch die SAP steigt mit Kai Jacob in den Legal Tech-Ring. SAP entwickelt eine Software für Rechtsabteilungen und möchte eine “Common Legal Platform” schaffen, die den Austausch zwischen den Beteiligten der Rechtsbranche vereinfacht. Mehr hierzu im Interview mit Kai Jacob.

Das Münchener Startup RFRNZ ist ebenfalls im Jahr 2017 richtig durchgestartet und konnte den renommieren Gründerwettbewerb des Minsteriums für Wirtschaft und Energie gewinnen.

ThingsThinking hat in 2017 ihre Software gelauncht, die – auf der Basis künstlicher Intelligenz – in der Lage ist, Texte zu “verstehen” und so etwa beim Aufspüren von Informationen in juristischen Dokumenten helfen kann. Diese Software hat für den Rechtsbereich eine besondere Relevanz, da sie – anders als andere Anbieter – nicht nur auf rein statistische Verfahren zurückgreift, um Texte zu verstehen, sondern die Texte auch semantisch analysiert.

Es zeigt sich: Es tat sich viel in 2017. Im Jahr 2018 ist auch noch Luft nach oben.

8. LinkedIn als Legal Tech?

LinkedIn hat wohl wenig mit Legal Tech im engeren Sinne zu tun. Im Rahmen der weltweiten Legal Tech-Community ist LinkedIn derzeit allerdings kaum noch wegzudenken. Es hat sich – neben einigen einschlägigen Blogs – zum zentralen Austauschmedium für Legal Tech in 2017 gemausert. Dank Influencern, wie z.B. Tom Brägelmann und Markus Hartung, lassen sich aktuelle Trends und News im Bereich Legal Tech & Innovation sehr gut verfolgen. Wertvolle Informationen werden gesammelt, interessante und informierte Diskussionen geführt und es ist einfach, sich mit den relevanten Personen zu vernetzen und auszutauschen. Auch die Internationalität des Netzwerks trägt dazu bei, dass ein Austausch über die jeweiligen Jurisdiktions- und Sprachgrenzen hinaus erfolgt. So können “best practices” ausgetauscht und ganz allgemein voneinander gelernt werden.

9. Mangel an digitaler Umsetzungskompetenz

Das ingesamt sehr positive Jahr 2017 für Legal Tech hat allerdings auch ein zentrales Problem in grelles Scheinwerferlicht gerückt: In der Rechtsbranche fehlt es an digitaler Umsetzungskompetenz. Während sich viele Juristen mit dem Gedanken anfreunden, dass “Legal Tech nicht mehr weg geht” (Berlin Justizsenator Behrendt) und sich inhaltlich mit dem Thema beschäftigen, wird in der Praxis schnell klar, dass man nicht weiß, wo und wie man von der Idee in die Umsetzung kommen soll.

Juristen können die komplexesten Rechtsprobleme lösen, sind aber nicht dafür ausgebildet, digitale Produkte und Prozesse zu planen und in den einzelnen Schritten effizient und “state-of-the-art” umzusetzen. Die Probleme mit dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (siehe hierzu “Das beA-Debakel” und “7 Lehren aus dem beA-Debakel“) zeigen dieses Problem noch einmal mit aller Deutlichkeit: Es fehlt der Rechtsbranche an Experten, die die Schnittstelle Recht, Technologie und Projektentwicklung besetzen können (vgl. hierzu das Interview mit Gernot Halbleib zum “Legal Engineer“).

In den kommenden Jahren wird es eines der wichtigsten Themen sein, diesen Mangel an digitaler Umsetzungskompetenz auszugleichen. Hierfür bedarf es der Erkenntnis aber auch des Mutes, externen Sachverstand einzukaufen und diesem zu vertrauen. Die Rechtsbranche muss den Schulterschluss mit anderen Industrien und Experten suchen, die bei Digitalisierungsprojekten tweilweise schon jahre- wenn nicht jahrzehntelange Erfahrung haben. Nur so kann sich der Wissentransfer sinnvoll stattfinden. Ansonsten muss die Rechtsbranche alle Fehler, die bereits woanders gemacht wurden, nochmals er- und durchleben. Das ist nicht sinnvoll, insbesondere wenn man bedenkt, dass die Rechtsbranche beim Thema Digitalisierung bereits “hinterher hinkt”.

Es wird auch wichtig sein, Innovationsorte zu schaffen, an dem Digitalkompetenz erlernt werden und wo der Wissentransfer stattfinden kann. In der Rechtsbranche gibt es eine Tendenz lieber alles selber machen zu wollen (“Maker-Bias”) und Wissen (mit den potentiellen Konkurrenten) wenn irgendwie möglich nicht zu teilen. Es wäre sehr zu wünschen, wenn es zu einer verstärkten Koooperation, Co-Entwicklung und gemeinsamer Forschung in der Rechtsbranche kommt.

10. Es gibt ein Legal Tech Buch

Zu guter Letzt: Im Jahr 2017 wurde das erste Legal Tech Buch für den deutschsprachigen Markt veröffentlicht, an dem ich als Co-Herausgeber mit Markus Hartung und Gernot Halbleib mitwirken durfte. Das neue Buch analysiert erstmals umfassend die Digitalisierung im Rechtsmarkt und deren Auswirkungen. Es gibt einen facettenreichen Überblick über den Einsatz von Legal Tech in Kanzleien und Rechtsabteilungen und formuliert Strategien für den erfolgreichen Einsatz von Legal Tech in der anwaltlichen Arbeit. Der Leser erfährt, welche strategischen Weichenstellungen er in seiner Kanzlei oder Rechtsabteilung jetzt stellen muss, um auf Legal Tech vorbereitet zu sein.

Mit diesem Buch können die Weichen für das kommende Jahr 2018 richtig gestellt werden. In diesem Sinne: Packen wir es an, auf das der Rückblick in 12 Monaten noch positiver ausfällt.