Interview mit Johannes Maurer und Tianyu Yuan von LEX superior

von Nico Kuhlmann

Johannes Maurer und Tianyu Yuan haben in Heidelberg Rechtswissenschaften studiert und letztes Jahr zusammen mit dem Programmierer Alexander Schmidt ein Legal Tech Startup namens LEX superior gegründet. Das Unternehmen hat vor Kurzem eine gleichnamige App veröffentlicht, die alle Gesetze des Bundes, die wichtigsten europäischen Rechtsakte und auch immer mehr Landesgesetze enthält.

Nico Kuhlmann: Lieber Johannes, lieber Tianyu, das Erkennungszeichen von Juristen ist immer noch der große, rote Schönfelder. Was spricht neben dem Gewicht noch für eure App und gegen den Gebrauch des Ziegelsteins?

Johannes Maurer: Die Benutzeroberfläche unserer App ist spezifisch auf die Arbeitsweise von Juristen zugeschnitten und intuitiv bedienbar. Über die Bookmarks und die Schnellauswahlleiste ist gewährleistet, dass sich die User nie in verschachtelten Menüs verlieren oder lange nachdenken müssen, wie sie zum nächsten Gesetz springen können.

Deshalb gibt es eigentlich keinen vernünftigen Grund mehr, in Zukunft noch gedruckte Gesetzbücher zu verwenden. Wie Du schon sagtest sind diese nicht nur schwer, sondern werden auch ziemlich schnell zu Altpapier, sobald sich nur ein Gesetz darin ändert. Die letzte Innovation in diesem Bereich war vor über 80 Jahren der rote Klotz, in dem man die Seiten einzeln nachsortieren muss – das mutet heutzutage schon fast etwas albern an. Mit unserer App hat man diese Probleme in Zukunft nicht mehr. Und zudem ergeben sich durch die Technik noch sehr viel mehr Möglichkeiten, die man mit einem Buch gar nicht hätte.

Nico Kuhlmann: Wie ist die Idee zu eurem Projekt entstanden?

Tianyu Yuan: Die Idee ist aus den selbst durchlebten Frustmomenten während des Studiums und vor allem während der Examensvorbereitung entstanden. Anders ausgedrückt: Was wir tun, folgt eigentlich nur dem Credo scratching your own itch.

Ursprünglich wollten Johannes und ich zunächst eine Gesetzessammlung in einem einzigen Band herausbringen, in der alle studienrelevanten Vorschriften enthalten sein sollten. Dazu sind wir sogar nach Shanghai gereist und haben eine Druckerei besucht, die diese Universalgesetzessammlung für uns gedruckt hätte. Letzten Endes fanden wir das aber zu old school. Denn uns war schon von Anfang an klar, dass die Druckausgabe nur eine Zwischenlösung gewesen wäre und die Zukunft beim digitalen Gesetzbuch liegt. Ziemlich schnell haben wir dann die Zwischenlösung verworfen und uns gesagt: Wir setzen auf die Zukunft.

Es war dann unser großes Glück, dass wir schon bald mit Alex – einem alten Freund aus meinem früheren Ingenieurs-Studium – einen begnadeten Full-Stack-Entwickler als Team-Mitglied gewonnen haben. Erst mit ihm hat unser Projekt richtig an Fahrt aufgenommen. Und zu dritt haben wir dann unser Startup gegründet.

Nico Kuhlmann: An wen richtet Ihr Euch in erster Linie mit Eurer App? Habt Ihr eine primäre Zielgruppe? Wie sprecht Ihr Eure User an?

Johannes Maurer: Unsere App richtet sich in erster Linie an Jurastudenten und Referendare. Prinzipiell können natürlich auch andere Rechtsanwender oder gar juristische Laien mit der App Gesetze nachschlagen, aber die Features, mit denen wir unsere App erweitern wollen, richten sich speziell an unsere Zielgruppe. Tianyu und ich waren jahrelang als Tutoren und später als AG-Leiter an der Universität Heidelberg tätig. Deshalb wissen wir aus eigener Erfahrung, wo der Schuh drückt. Entsprechendes gilt für das Referendariat.

Als Startup verfolgen wir den sogenannten Lean Approach. Das bedeutet, dass wir erst einmal ein Basisprodukt veröffentlicht haben und dieses nun stetig nach den Bedürfnissen unserer User verbessern. Da wir uns an eine verhältnismäßig junge Zielgruppe richten, treten wir mit dieser vor allem über Social Media in Kontakt. Dadurch erhalten wir wertvolles Feedback, was die Usability und Ideen für neue Features und Inhalte anbelangt. Auf diese Wünsche gehen wir dann direkt ein und entwickeln somit genau das Produkt, das sich unsere User wünschen.

Nico Kuhlmann: Gibt es Vorbilder an denen Ihr Euch orientiert habt?

Tianyu Yuan: Nein. Die Idee eine digitale Gesetzessammlung zu entwickeln ist weder neu noch sonderlich innovativ. Wenn man in die App-Stores schaut, so finden sich dort mehr als 20 Gesetze-Apps. Wir haben sie alle unter die Lupe genommen, aber mit keiner dieser Apps wollten wir als Juristen täglich arbeiten. Sie gehen schlichtweg nicht auf die Bedürfnisse ein, die man als Jurist bei der effizienten Lösung von Fällen hat. Im Vergleich zu diesen Apps war das Papiergesetz schneller. Gleichzeitig hatten wir aber auch klare Vorstellungen davon, wie eine App mit tatsächlich guter Usability aussehen würde. Und genau diese App haben wir entwickelt.

Während der Entwicklung unserer App sind wir allerdings auf die Mediziner Software Amboss gestoßen. Amboss ist quasi die Standard-App, mit der Mediziner sich auf ihr Examen vorbereiten. Gerade in diesem Ansatz von Amboss haben wir uns mit der Vorstellung von unserem Produkt wiederentdeckt. Wir wollen die Standard-App für uns Juristen schaffen. Dabei werden wir nicht das tun, was in jüngerer Zeit all‘ die neu enstandenen Online-Repetirorien machen. Diese verfolgen mit Videokursen oder ähnlichem nur einen copy&paste-Ansatz, was analoge Reps schon seit Ewigkeiten machen. Das schöpft das Potenzial des digitalen Lernzeitalters bei Weitem nicht aus. Wir werden ein Tool schaffen, das nicht nur juristisch, sondern auch lernpsychologisch innovativ sein wird.

Nico Kuhlmann: Euer Slogan ist „Jura wird leicht“. Es soll Bundesrichter geben, die der Ansicht sind, dass Jura bereits leicht sei. Worin besteht Eurer Ansicht nach die Schwierigkeit?

Tianyu Yuan: So wie Jura jetzt unterrichtet und vermittelt wird, ist unser Fach ganz und gar nicht leicht. Nicht ohne Grund sind die Examensergebnisse so wie sie sind. Wenn man das Ganze nach zwei Staatsexamina aber mit etwas Distanz betrachtet, so kommt man zum Ergebnis: Jura muss nicht so schwer sein. Das setzt aber voraus, dass man schon zu Beginn auf die richtige Art und Weise und mit den richtigen Unterlagen lernt. Wenn ich auf meine juristische Ausbildung zurückschaue, merke ich, dass die große Herausforderung darin bestand, zu schlechten Vorlesungen, Büchern, Skripten etc. Nein zu sagen, um Zeit für die wirklich sinnvollen Materialien zu haben. Leider ist mir dies gerade in den Anfangssemestern nicht gut gelungen. Und ich habe Unmengen Zeit bei der Lektüre von Büchern verloren, die einem zwar ein schönes Gefühl vermittelten, aber für die Klausurbewältigung keinen Punkt gebracht haben.

Die Schwierigkeit des Jurastudiums sehe ich jedenfalls darin, sich nicht von gut gemeinten, aber in der Sache schlechten Ratschlägen ablenken zu lassen, um sofort und von Anfang an richtig an die Sache heranzugehen. Eine weitere offensichtliche Schwierigkeit von Jura besteht darin, dass man sich eine Unmenge von Einzelfallwissen präsent halten muss. Natürlich kann man entdeckte Probleme während einer Klausur auch methodisch erarbeiten. Das kostet aber häufig unverhältnismäßig viel Zeit und kann dazu führen, dass man mit der Mindermeinung falsch abbiegt und sich Folgeprobleme und damit Punkte abschneidet. Auch im Ersten Staatsexamen könnte ein Praktiker um die Ecke kommen und kritisieren, dass man zwar schön und gut argumentiert habe, die gefundenen Ergebnisse allerdings wenig praxisgerecht seien. So ist mir das in einer Klausur im Ersten Staatsexamen passiert.

Nico Kuhlmann: Euer Team besteht aus drei Mitgliedern. Wie ist die interne Arbeitsaufteilung?

Johannes Maurer: Bei uns im Team hat jeder seine Kernkompetenz: Alex hält in technischer Hinsicht die Fäden in der Hand. Er hat die App programmiert und baut diese nun nach und nach weiter aus. Tianyu ist vor allem für die juristischen Inhalte und das didaktische Konzept verantwortlich. Mit seinem Background in technischer Kybernetik bringt er gleichzeitig auch ein technisches Verständnis mit. Meine Rolle kann man am besten mit dem Begriff des Legal Engineers beschreiben. Ich bin zwar Jurist, habe mir aber im Laufe des vergangenen Jahres Programmier-Skills beigebracht und programmiere auch immer mehr an der App selbst mit. Damit sitze ich sozusagen an der Schnittstelle zwischen diesen beiden Welten und bringe sie zusammen.

Unternehmerische Entscheidungen treffen wir hingegen gemeinsam. Das richtig Gute an unserem Team ist, dass wir alle drei sehr unternehmerisch und lösungsorientiert denken. Wir wohnen an drei verschiedenen Orten, sodass unsere Geschäftsprozesse fast ausschließlich virtuell ablaufen. Mit der entsprechenden Koordination hat das bisher sehr gut geklappt. Als Startup haben wir natürlich auch den Vorteil, dass wir schneller und unkomplizierter agieren können. Zum Teil werden Entscheidungen nach kurzer Absprache per WhatsApp oder Slack getroffen. Dabei kann es schon mal vorkommen, dass einer von uns währenddessen im Skilift sitzt, in China unterwegs ist oder durch den indonesischen Dschungel wandert.

Nico Kuhlmann: Was sind eure weiteren Pläne? Welche zusätzlichen Funktionen wollt Ihr noch einbauen?

Tianyu Yuan: Unsere Gesetze-App ist nur der erste, aber sehr wichtige Schritt.

Kurzfristig bis Ende des Jahres werden wir in unserer App auch juristische Inhalte ablegen. Konkret geht es um Definitionen und Streitstände. Das ist jetzt per se auch noch nicht besonders spannend. Allerdings sind wir überzeugt, dass unsere Inhalte spezifisch mit Blick auf Klausur und Staatsexamen deutlich besser sein werden, als alles andere, was der Markt zu bieten hat. Dabei sind Johannes und ich nicht allein, sondern wir haben gerade ein Team von guten und auch sehr guten Examenskandidaten zusammengebracht, mit denen wir gemeinsam an den Inhalten arbeiten. Diese Inhalte werden dann mit einem didaktisch fundierten Lernkonzept verknüpft. Letztlich kann man dann mit uns Jura aus einem einzigen Interface und auf intelligente Weise lernen.

Mittelfristig geht es aber noch weiter: Wir sind schon jetzt dabei Features zu programmieren, die teilautomatisiert intellektuell wenig herausfordernde, aber mühsame Aufgaben abnehmen. Als Metapher kann man sich vorstellen, dass die heutigen Juristen noch mühevoll von Hand Rechnungen lösen – wir hingegen entwickeln einen Taschenrechner für sie.

Langfristig haben wir auch die spannenden Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz im Blick. Wir haben da schon einige Ideen. Aber jetzt wäre es noch zu früh diese zu verraten. Vielleicht nur so viel: Schon bald wird ein gut bekannter Jurist wieder in Erscheinung treten.

Nico Kuhlmann: Ihr habt anscheinend schon einiges an Zeit und Geld investiert, trotzdem ist die App kostenlos. Denkt Ihr darüber nach, Euer Angebot mittelfristig zu kommerzialisieren?

Johannes Maurer: Bisher sind wir noch gebootstrapped und haben neben einem überschaubaren Geldbetrag vor allem unsere Arbeitskraft in LEX superior investiert. Derzeit ist die Finanzierung auch kein dringliches Thema. Wie Tianyu bereits erwähnt hat, sind wir im Moment dabei, die Ressource Wissen zu heben.

Was die Kommerzialisierung anbelangt, so muss man sich Folgendes klarmachen: Das Geschäftsmodell Ware gegen Geld lässt sich nicht ohne Weiteres ins digitale Zeitalter und schon gar nicht auf Apps übertragen. Digitale Geschäftsmodelle funktionieren anders. Im Moment konzentrieren wir uns erst einmal darauf, ein richtig gutes Produkt zu entwickeln und eine möglichst breite User Base aufzubauen. Mittelfristig wollen wir unser Produkt natürlich auch kommerzialisieren – dafür schweben uns schon verschiedene Ansätze vor. Die reinen Gesetze werden aber nach wie vor kostenlos verfügbar bleiben – die gehören schließlich der Allgemeinheit.

Nico Kuhlmann: Ihr seid gegenwärtig noch im Referendariat bzw. mit der Promotion beschäftigt und steht damit noch am Anfang eurer beruflichen Karrieren. Welchen Tipp würdet ihr anderen Referendaren und Jungjuristen in Bezug auf die Digitalisierung mit auf dem Weg geben?

Johannes Maurer: In letzter Zeit hört man ja immer öfters, dass Juristen nun Programmieren lernen sollten. Das hat aus meiner Sicht aber nur dann einen Sinn, wenn man damit auch ein konkretes Projekt verfolgt. Hackschools und Hackathons bieten gute Gelegenheiten, um in dem Bereich erste Erfahrungen zu sammeln. Ein Grundverständnis für die Digitalisierung und die damit einhergehenden Konsequenzen für juristische Arbeitsprozesse zu entwickeln, ist für junge Juristen aber unerlässlich. Dabei sollte man die Digitalisierung nicht als Bedrohung, sondern als Chance begreifen. Die lästigen Aufgaben erledigt in Zukunft der Computer.

Tianyu Yuan: Fangt an Euch für Legal Tech zu interessieren und setzt Euch damit auseinander, auch wenn nur oberflächlich. Die Welt dreht sich immer schneller. Pferdekutschen gibt es in Europa nur noch als Touristenattraktion. Auch Taxifahrer werden auf absehbare Zeit nicht mehr existieren. Wir Juristen sollten nicht glauben, dass gerade unser Bereich gegen Innovationen immun ist – frei nach Kaiser Wilhelm II.: „Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.“

Nico Kuhlmann: Vielen Dank Euch beiden für das interessante Gespräch. Viel Erfolg für Euer Projekt!