Erste Legal Tech Vorlesung an einer deutschen staatlichen Universität – Interview mit PD. Dr. Martin Fries

von Nico Kuhlmann

Obwohl Legal Tech in aller Munde ist, haben es die verschiedenen Aspekte der Digitalisierung des Rechts bisher nur vereinzelt an die juristischen Fakultäten geschafft. Eine systematische Auseinandersetzung mit der Frage, was Computer im Rechtsbereich bereits jetzt oder zumindest auf absehbare Zeit können und welche Kenntnisse und Fähigkeiten notwendig sind, um während der bereits stattfindenden digitalen Transformation zu bestehen, findet bisher an den meisten deutschen Universitäten nicht statt.

Martin Fries ist Privatdozent und einer der Vordenker in Bezug auf die Digitalisierung des Rechts in Deutschland. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist Legal Tech aus rechtstheoretischer Perspektive. Er veranstaltete mit einem Seminar zur Rechtsfindung in der digitalen Welt an der Universität Münster und einem Grundlagenseminar zum Bürgerlichen Recht und Digitalisierung an der LMU München bereits mehrere diesbezügliche Veranstaltungen für Studierende. Jetzt hat er an der Universität Freiburg im Sommersemester 2018 eine Vorlesung zu Legal Tech angeboten.

Nico Kuhlmann: Lieber Martin, warum sollte Legal Tech Deiner Meinung nach an der Universität unterrichtet werden? Müssen die Studierenden nicht schon genug lernen?

Martin Fries: Dies stimmt, die Studierenden müssen schon viel lernen, und in letzter Zeit ist es immer noch mehr geworden: Mehr Europarecht, eine Fülle neuer Vertragstypen im BGB und so weiter und so fort. Trotzdem glaube ich, eine Prise Digitalisierung kann nicht schaden. Dazu müssen wir nicht unbedingt unsere Prüfungsordnungen umschreiben. Denn was beim Thema Legal Tech passiert, knüpft an vielen Punkten an, die an der Universität seit Jahrhunderten unterrichtet werden. Dazu zählen namentlich die Rechtstheorie, das Verfahrensrecht und das Anwaltsrecht. Natürlich kann man Legal Tech als separate Vorlesung anbieten, wie ich das jetzt in Freiburg gemacht habe. Aber das Thema lässt sich auch hervorragend in eine ZPO-Vorlesung oder ein Seminar zur Rechtstheorie integrieren. Für die Studierenden wird es nur spannender, wenn man Bezüge zur aktuellen Rechtspraxis herstellt. Dann ist es auch kein „Lernen müssen“, sondern ein „Lernen dürfen“.

Nico Kuhlmann: Du hast im Sommersemester 2018 eine Vorlesung zu Legal Tech an der Universität in Freiburg angeboten. Was hast Du unterrichtet?

Martin Fries: Mir ging es vor allem darum zu zeigen, wie die Digitalisierung das Recht und die Rechtspraxis verändert. Wir haben uns angeschaut, inwieweit ein Computer im rechtstheoretischen Sinne subsumieren kann. Wir haben diskutiert, wie sich die anwaltliche Arbeit wandelt und wie das mit dem traditionellen Bild vom Anwalt als Organ der Rechtspflege zusammenpasst. Und wir haben schließlich auch überlegt, wie der Zivilprozess von morgen ausschauen und wie sich dadurch der Zugang zum Recht verbessern könnte.

Nico Kuhlmann: Kannst Du einen dieser Punkte noch vertiefen? Was genau habt Ihr im Rahmen der Vorlesung gemacht?

Martin Fries: Klar! Nehmen wir gleich das Beispiel mit der Subsumtion, dem Kern unserer juristischen Arbeit. Die Rechtstheorie sagt hier ganz klar: Subsumieren ist kein rein mechanischer Vorgang, sondern wir Juristen müssen Gesetze auslegen und in jedem einzelnen Fall das Für und Wider einer Anwendung der in Betracht kommenden Normen abwägen. Ein Beispiel: Wenn eine Anwältin einen Bücherschrank für ihre Privatwohnung kauft, sich dabei aber als Unternehmerin ausgibt, behandeln wir sie womöglich als Unternehmerin, obwohl die Voraussetzungen des § 13 BGB erfüllt sind. Ein Subsumtionsautomat versteht das wahrscheinlich nicht. Hinzu kommt die Sache mit der Sprache: Wenn ich zum Beispiel ein Geschäft abschließe, kann das bedeuten, dass ich einen Vertrag schließe oder dass ich abends meinen Laden zusperre. Wird sich ein Computer hier die richtige Bedeutung erschließen können? Das ist die kritische Perspektive. Auf der anderen Seite kann man das auch pragmatisch sehen: Abhängig von der Qualität der Programmierung liegt der Computer womöglich in 70 – 90 Prozent der Fälle richtig. Sind wir Menschen da unbedingt besser? Die Uni Cambridge hat das neulich mal getestet – und der Computer hat uns Menschen um Längen geschlagen. Ich will das nicht verallgemeinern, aber ich glaube, das zeigt, dass wir über Legal Tech diskutieren können und diskutieren sollten. Das haben wir in Freiburg getan.

Nico Kuhlmann: Wie kam es zu dieser Vorlesung? War dies Deine Idee oder hat Dich der Fakultätsrat gebeten, Dich dieses Themas anzunehmen?

Martin Fries: Der Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät in Freiburg, Boris Paal, ist selbst sehr legal-tech-affin und hat mir vorgeschlagen, eine solche Vorlesung zu machen. Da habe ich natürlich nicht Nein gesagt. Herr Paal wird übrigens in Kürze in Freiburg ein Legal Tech Center aus der Taufe heben und vermutlich auch ein kleines Studienprogramm mit einer Art Legal Tech-Zertifikat schaffen. Freiburg bleibt also definitiv eine gute Adresse für das Thema!

Nico Kuhlmann: Für welche Studierenden war die Vorlesung konzipiert? Und waren Vorkenntnisse oder sonstige Fähigkeiten für die Teilnahme notwendig?

Martin Fries: Ich habe die Vorlesung bewusst so konzipiert, dass man schon als Erstsemester etwas mitnehmen kann, dass sich aber auch die Examenskandidaten hoffentlich nicht langweilen. Jeder, der einen Computer einschalten kann und keine Angst vor der Maus hat, ist bei dem Thema goldrichtig.

Nico Kuhlmann: Wie haben die Studierenden die Legal Tech Vorlesung angenommen? Gab es genügend Interesse, obwohl dies kein Prüfungsstoff des Staatsexamens ist?

Martin Fries: Das Interesse ist bei den Studierenden auf jeden Fall vorhanden. Natürlich ist eine Zivilrechts-Übung besser besucht, aber das ist auch klar bei einem Thema, auf das die Studierenden erst stoßen, wenn sie sich eigeninitiativ dafür interessieren. Übrigens werden langsam immer mehr Universitäten neugierig, was es mit diesem Legal Tech auf sich hat. Vor zwei Jahren gab es kaum eine Uni, die das Thema auf dem Schirm hatte. Heute gibt es kaum eine Uni, an der es nicht zumindest mal einen Vortrag dazu gegeben hat. Langsam ernährt sich das Eichhörnchen.

Nico Kuhlmann: Was können diejenigen tun, die Deine Vorlesung verpasst haben, aber sich trotzdem dafür interessieren? Sind im Internet Unterlagen verfügbar?

Martin Fries: Ich habe die Vorlesung mitgeschnitten und als Podcast bei YouTube eingestellt. Die Unterlagen sind über meine Münchener Uni-Webseite frei zugänglich.

Nico Kuhlmann: Wird es im nächsten Semester wieder eine Legal Tech-Vorlesung von Dir geben? Und was würdest Du beim nächsten Mal anders machen?

Martin Fries: Nach der Vorlesung ist vor der Vorlesung. Zum einen habe ich einige didaktische Ideen, die ich gerne einmal ausprobieren würde. Zum anderen tut sich im Bereich Legal Tech natürlich auch inhaltlich viel. Man denke nur an den aktuellen „Streit“ zwischen zwei Kammern des LG Berlin zur Reichweite der Inkassoerlaubnis für Legal-Tech-Dienstleister. Ich werde die online verfügbaren Unterlagen zu der Vorlesung mit Blick auf diese Entwicklungen regelmäßig aktualisieren und sicherlich in absehbarer Zeit auch die ganze Vorlesung noch einmal neu auflegen. Im kommenden Wintersemester bin ich für eine Lehrstuhlvertretung an der Uni Passau; dort biete ich ein Proseminar zu dem Thema an und plane gemeinsam mit den Professoren Dirk Heckmann und Thomas Riehm eine Ringvorlesung Legal Tech.

Nico Kuhlmann: Lieber Martin, vielen Dank für das Interview. Viel Erfolg für Deine Vorlesungen!