Der Markt für Rechtsdienstleistungen in Deutschland – ein 50 Mrd. EUR Markt?

von Sven von Alemann

Rechtsdienstleistungen sind ein großes Geschäft. Dies sieht man nicht nur an der Größe und den Umsätzen der großen Kanzleien. Auch das von Risikokapitalgebern in den USA investierte Geld in Legal (Tech) Startups spricht eine deutliche Sprache: 2013 waren es 458 Mio. USD, 2014 waren es über 266 Mio. USD bis Ende Oktober 2014. Und schließlich gibt es Schätzungen des Gesamtmarktes für Rechtsdienstleistungen in den USA, die sich auf insgesamt 400 Milliarden USD belaufen. Zwar stellt diese Zahl nur den abstrakten Gesamtmarkt dar und der relevante Markt für jedes Business ist – je nach Produkt, Service und Geschäftsmodell – anders (und kleiner). Dennoch demonstriert es anschaulich die Marktgröße und das enorme Potential des US Marktes.

Wie sieht es aber in Deutschland aus? Eine vergleichbare Abschätzung des Gesamtmarktes für Rechtsdienstleistungen gibt es bislang nicht. Der Versuch einer vorsichtigen Schätzung soll daher hier unternommen werden. Dies ist insbesondere interessant für Legal Tech Startups bei der Festlegung ihres relevanten Marktes.

Ausgangspunkt ist zunächst der Umsatz von Unternehmen in der Rechtsberatung (also Kanzleien) in Deutschland. Dieser betrug im Jahr 2013 20,1 Milliarden EUR. Dies ist die einfachste Zahl, welche vom Statistischen Bundesamt ermittelt wird.

Schwieriger wird die Ermittlung der Umsätze von allen weiteren Unternehmen, die Rechtsdienstleistungen im weiteren Sinn erbringen. Dies sind zum Beispiel Anbieter juristischer Datenbanken, Anbieter von Kanzleisoftware, Vermittler von Rechtsdienstleistungen, Anbieter von LPO (Legal Process Outsourcing), Anbieter von Dokumentendienstleistungen, etc. Hier kann zumindest für solche Dienstleistungen, die direkt an Kanzleien erbracht werden, entsprechend dem Statistischen Bundesamt, von einem Sachaufwand von ca. 5 Milliarden EUR ausgegangen werden (Jahr 2011).

Dazu kommen noch die Kosten, welche Unternehmen insgesamt für rechtliche Angelegenheiten entstehen. Die Aufwendungen für externe Rechtsanwälte können hier natürlich nicht berücksichtigt werden, denn diese sind ja schon im Umsatz der Kanzleien enthalten. Aber die Kosten für Inhouse Juristen kommen hier in Betracht. Auch hier kann nur eine grobe Schätzung angestellt werden, denn zum einen ist die genaue Anzahl von Unternehmensanwälten in Deutschland unklar und zum anderen ist deren Verdienst sehr unterschiedlich. Einer Schätzung zufolge sind in Deutschland etwa 30.000 Anwälte als Inhouse Juristen tätig. Die internen Kosten für ein Unternehmen pro Inhouse Jurist beträgt nach einer Befragung der IHK Frankfurt im Jahr 2007 im Durchschnitt 253.000 EUR. Dies ergibt somit knapp 7,6 Milliarden EUR. Die Rechnung ist eher konservativ, da etwa Mitarbeiter in den Compliance Abteilungen der Unternehmen, die auch den Rechtsdienstleistungen im weitverstandenen Sinn zugerechnet werden können, noch nicht berücksichtigt sind.

Die schwierigste Schätzung allerdings betrifft den noch nicht erschlossenen Teil des Marktes, also Unternehmen, die bislang weder eine Rechtsabteilung haben noch externen Rechtsrat eingeholt haben, sowie Einzelpersonen die mit einem Rechtsproblem konfrontiert sind, aber bislang keinen Rechtsrat eingeholt haben.

Ausgangspunkt für den ersten Teil ist die Anzahl der kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU). Es gibt in Deutschland 3,6 Millionen KMU. Da mir keine Statistik bekannt ist, wie viele dieser Unternehmen Rechtsdienstleistungen in Anspruch nehmen, kann ich nur einen Vergleich mit anderen Industrienationen, etwa mit den USA, anstellen. Dort nehmen etwa ein Drittel der KMU keinen Rechtsrat in Anspruch wenn sie mit einem rechtlichen Problem konfrontiert sind. Nimmt man an, dass die Relation in Deutschland vergleichbar ist, dann würden ca. 1 Mio. KMU einen noch nicht erschlossenen Markt für Rechtsdienstleistungen darstellen. Geht man davon aus, dass im Durchschnitt etwa 3.000 EUR pro Jahr für Rechtsberatung ausgegeben würde, dann käme man auf einen nicht erschlossenen Markt in einem Volumen von 3 Milliarden EUR.

Zum zweiten Teil des nicht erschlossenen Marktes muss das Verhalten und die Einstellung der Bevölkerung zur Inanspruchnahme von Anwälten abgeschätzt werden. Nach einer Studie hatten 22% der Bevölkerung in Deutschland in den Jahren 2002 bis 2006 ein Rechtsproblem, bei dem sie keinen Rechtsanwalt zur Rate gezogen haben. Von der erwachsenen Bevölkerung sind das etwa 15 Mio. Personen. Nimmt man hier an, dass die Inanspruchnahme von Rechtsdienstleistungen im Durschnitt 1.000 EUR Umsatz erbracht hätte, so kommen zum nicht erschlossenen Markt weitere 15 Milliarden EUR hinzu.

Nimmt man diese Zahlen zusammen, so kommt man auf ungefähr 50 Milliarden EUR Gesamtumsatz im Markt für Rechtsdienstleistungen in Deutschland. Allerdings ist diese Zahl – wenn auch sehr konservativ geschätzt – natürlich eine sehr grobe und überschlägige (man könnte auch sagen grobschlächtige) Schätzung. Dazu kommt, dass dieser Gesamtmarkt von keinem Business in seiner vollen Größe adressiert wird. Die Aussagekraft so einer Zahl ist daher sehr begrenzt. Das enorme Potential des Marktes für Rechtsdienstleistungen in Deutschland jedoch kann die Zahl aber trotzdem sehr anschaulich demonstrieren.