Die digitale Rechtsabteilung – Interview mit Kai Jacob (SAP)

von Nico Kuhlmann

Die digitale Transformation verändert auch die Arbeitsweise und Funktion von Rechtsabteilungen in Unternehmen. Ein digitales Vertragsmanagement ist dabei ein erster wichtiger Schritt. Aber auch Legal Dashboards, das Dewordification und eine Common Legal Plattform werden die Unternehmensjuristen in Zukunft bei ihrer Arbeit unterstützen.

Kai Jacob arbeitet seit über 10 Jahren in Rechtsabteilungen großer deutscher Unternehmen. Gegenwärtig ist er bei SAP in Walldorf Head of Global Contract Management und Global VP Legal Information Management. Darüber hinaus ist er Board Officer und Vice Chair EMEA der International Association for Contract & Commercial Management (IACCM).

Nico Kuhlmann: Lieber Kai, welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf die Rechtsabteilung in einem Unternehmen? Inwieweit wird sich die Arbeitsweise und Funktion einer Rechtsabteilung in Zukunft verändern?

Kai Jacob: Für Rechtsabteilungen bedeutet Digitalisierung im Grunde das gleiche wie für alle anderen Unternehmensbereiche auch: eine Chance zur Effizienzsteigerung. Geschäftsprozesse werden standardisiert und automatisiert, Serviceleistungen für interne Kunden werden schneller und transparenter. Das Besonders an Rechtsabteilungen ist, dass sie erst jetzt mit der Digitalisierung beginnen, während diese bei anderen zentralisierten Servicebereichen wie Finanzen, Personal und IT schon lange in vollem Gange ist.

Nico Kuhlmann: Deine Aussage impliziert, dass Rechtsabteilungen im Vergleich mit anderen Abteilungen im Unternehmen verspätet mit der Digitalisierung begonnen haben. Woran liegt das Deiner Meinung nach?

Kai Jacob: An einer Vielzahl von Gründen: historischen, kulturellen und auch rechtlichen – gerade in Deutschland stellen Datensicherheit und -schutz hohe Anforderungen an Automatisierungs-Technologie. Aber ein Grund ist sicher auch, dass Rechtsberatung generell ein qualitativ nur schwer messbares Gut ist und dass daher geschäftliche Aspekte über die Art und Weise, wie diese Leistung in Unternehmen erbracht wird, in der Vergangenheit eine eher untergeordnete Rolle gespielt haben.

Nico Kuhlmann: Geschäftliche Aspekte haben in der Rechtsabteilung Deiner Aussage nach in der Vergangenheit eine untergeordnete Rolle gespielt. Ist das heute anders?

Kai Jacob: Eine wichtige Zäsur war die Finanzkrise 2007/08. Die hat dazu geführt hat, dass Unternehmen Kosten sparen mussten und ihre Rechtsabteilungen gefragt haben: Was macht ihr eigentlich genau? Und können wir das auch kostengünstiger machen? Und die Rechtsabteilungen wiederum haben die Frage an ihre Lieferanten, die Kanzleien, weitergereicht: Könnt Ihr Eure Services mit Hilfe von Software nicht effizienter, schneller und günstiger liefern?

Nico Kuhlmann: Und? Was war die Antwort? Hat dieser Kostendruck der Digitalisierung in der ‘Rechtsindustrie’ einen Schub verliehen?

Kai Jacob: Ja, Legal Tech-Startups schießen derzeit wie Pilze aus dem Boden, und hochvolumige und zeitintensive Rechts-Services wie Vertragsmanagement lassen sich jetzt deutlich besser automatisieren als früher.

Nico Kuhlmann: Was hat sich bereits konkret an Deiner Arbeit in den letzten 10 Jahren verändert? Welche Veränderung gefällt Dir davon persönlich am besten?

Kai Jacob: Für die Syndikus-Anwälte ist die Arbeit in den letzten 10 Jahren zunehmend ‚geschäftsorientierter‘ geworden. Die kompetente Bearbeitung von Rechtsfragen und -fällen ist sozusagen nur noch die ‚Pflichtleistung‘. Die Kür ist, als Projektmanager mit Hilfe von externen Kanzleien auch mehrere Fälle parallel zu steuern und die neuen technischen Möglichkeiten der Effizienzsteigerung auszuschöpfen. Als Legal Information Manager finde ich diese Entwicklung natürlich sehr spannend! Aber es gibt sicher auch Kollegen, die die Digitalisierung als Bedrohung ihrer bisherigen fachbetonten Arbeitsweise sehen und die Schwierigkeiten haben, sich anzupassen.

Nico Kuhlmann: Wie würdest du gerne in einer Rechtsabteilung in 10 Jahren arbeiten? Und spielt bei deinen Überlegungen eine Art ‘Legal Dashboard’ eine Rolle?

Kai Jacob: Für die Leiter von Rechtsabteilungen, die im Grunde Risiko-Manager sind und ihren Bereich strategisch und operativ gut führen müssen, ist ein ‘Legal Dashboard’ ein wichtiger Schritt nach vorne. Zum ersten Mal können hier alle geschäftsrelevanten ‘Key Performance Indicators’ (KPIs) wie Anzahl der Fälle, Bearbeitungsdauer, Kosten, regionale Unterschiede etc. auf einen Blick zusammengestellt werden, und das ermöglicht informations-basierte Entscheidungen. Ich bin sicher, dass Rechtsabteilungen in 10 Jahren zwar weiterhin primär Sicherheit für ihre internen Kunden liefern werden – aber sie werden auch deutlich innovationsfreudiger sein als heute und Technologie primär als Chance und nicht als Gefahr sehen.

Nico Kuhlmann: Welche Dienstleistungen erwartest du demgegenüber von externen Rechtsberatern? Was sollte sich Deiner Meinung nach an den Dienstleistungen von Kanzleien verändern?

Kai Jacob: Für Anwaltskanzleien gilt das gleiche wie für In-house Anwälte: Sie müssen ein noch stärkeres Bewusstsein für die Geschäftsziele der Kunden entwickeln, sich mehr auf ihren eigentlichen Wertbeitrag fokussieren und mehr Flexibilität bei der Abrechnung zeigen. Die ‘Legal Process Outsourcer’ (LPO) haben es vorgemacht: Dort werden rechtliche Serviceleistungen in Module zerlegt, und jedes dieser Module wird mit Hilfe von Technologie oder Manpower auf die für den Kunden beste und günstigste Art und Weise bearbeitet.

Nico Kuhlmann: Du bist einer der Herausgeber des Sammelbands „Liquid Legal – Transforming Legal into a Business Savvy, Information Enabled and Performance Driven Industry“. Was ist Liquid Legal?

Kai Jacob: ‘Liquid Legal’ ist eine Metapher für die Rechtsberatung der Zukunft. Wir möchten damit ausdrücken, dass vor allem die Rechtsabteilungen von Unternehmen in Zukunft flexibler arbeiten und sich ‚fluider‘ mit anderen Geschäftsbereichen verbinden müssen.  

Nico Kuhlmann: Ein anderes Schlagwort das gegenwärtig die Runde macht ist ‘Dewordifikation’. Was ist das Problem mit herkömmlicher Textverarbeitung und warum wäre es sinnvoller den Inhalt von rechtlichen Dokumenten in strukturierter Form zu verarbeiten?

Kai Jacob: Bei ‚Dewordification‘ geht es darum, den Inhalt von Rechtsdokumenten von der Darstellung zu trennen. Anwälte arbeiten am liebsten in Word und anderen Textverarbeitungssystemen – aber in diesen Tools ist das Rechtswissen immer in einer bestimmten Form gebunden und kann daher schlecht wiederverwendet werden. Bei SAP versuchen wir hingegen, Rechtsinhalte so zu erstellen, dass sie in beliebigen Formaten erscheinen können und einfach wiederverwendbar sind.

Nico Kuhlmann: Wie kann ich mir das vorstellen? Wie funktioniert das konkret im Unterschied zu herkömmlicher Textverarbeitung?

Kai Jacob: Der Unterschied liegt einfach darin, dass wir in Zukunft kleinteiliger arbeiten werden, dies bedeutet wir editieren oder erstellen einzelne Klauseln. Die Herausforderung dabei liegt in der möglichst breiten Wiederverwendbarkeit in verschiedenen Kontexten. Die Textverarbeitung der Zukunft unterscheidet sich auf den ersten Blick gar nicht so sehr von Microsoft Word – aber die Umstellung eröffnet uns exponentielle Möglichkeiten.

Nico Kuhlmann: Du plädierst darüber hinaus für eine ‘Common Legal Platform’. Was verstehst du darunter und was müssten wir dafür tun?

Kai Jacob: Wir brauchen mehr Kollaboration im Rechtsmarkt! Es gibt selbst in nationalen Rechtsräumen zu wenige Standards, beispielsweise in der Gestaltung einfacher Verträge. Auch für Unternehmens- und Kanzleianwälte gibt es zu wenige Möglichkeiten, projektbezogen, schnell und effektiv zusammenzuarbeiten. Das wollen wir ändern, indem wir eine Common Legal Plattform (CLP) mit vorantreiben wollen, die allen Akteuren auf dem Rechtsmarkt offen steht und beispielsweise virtuelle Kollaborationsräume anbietet.

Nico Kuhlmann: Was sind vor diesem Hintergrund die wichtigsten Fähigkeiten von Juristen für die berufliche Zukunft? Worauf sollten besonders Berufsanfänger achten?

Kai Jacob: Die Mentalität und die Ausbildung von Juristen müssen sich stärker an die Realität im Arbeitsalltag anpassen. Wir brauchen mehr Geschäftsorientierung, also die Fähigkeit, in ökonomischen ‚win-win‘ und nicht nur rechtlichen ‚win-lose‘ Kategorien zu denken – beispielsweise bei der Vertragsgestaltung, wo verstärkt die gemeinsamen Interessen der Geschäftspartner und nicht nur mögliche Probleme im Vordergrund stehen sollten. Wer als Berufsanfänger nicht nur über eine gute juristische Ausbildung verfügt, sondern auch Projekte managen kann und ein Grundverständnis für IT mitbringt, dem stehen auch in Zukunft in den Rechtsabteilungen von Unternehmen alle Türen offen. Übrigens werden wir diese und andere Zukunftsthemen am 6. November auf der Liquid Legal Jahrestagung in Frankfurt, zu der alle eingeladen sind, weiter vertiefen.

Nico Kuhlmann: Lieber Kai, vielen herzlichen Dank für das Interview und den Hinweis. Weiterhin viel Erfolg mit deinen Projekten!