BERICHT VON DER LEGAL GEEK CONFERENCE 2017

High Fives!

Am 17. Oktober trat streamlaw den Weg zum Mutterschiff in London an, der Legal Geek Conference 2017. Den First Legal Geek Jimmy Vestbrink kannten wir bereits von der ELTAcon im Juni in Berlin, wo wir als eines von zwei deutschen Startups (gemeinsam mit Rfrnz) das Travel Grant der Legal Geeks gewonnen haben.

Das britische Legal Geek Netzwerk ist vor allem für die jährliche Konferenz in London bekannt. Und neben all den exzellenten Teilnehmern und anspruchsvollen Vorträgen (u.a. von Legal Mosaic Mark A. Cohen und Legal AI-Experte Richard Tromans) ist die Konferenz vor allem wirklich cool! Dies beginnt mit der Location – dem Boiler House in Shoreditch, das vor Londoner Industriecharme nur so strotzt. Ebenfalls für gute Stimmung und dem Networking zuträglich war das von den TED-Konferenzen bekannte Format von kurzen, stehenden Vorträgen.

Maßgeblich für den Flair der Veranstaltung ist aber der Legal Geek Ethos:

* Come to make friends, not to sell
* Dress comfortably (please, please, no ties)
* Come to learn and to teach
* Look after your fellow law-gends, you may need their help someday
* This is your community, please pitch in and help. You will be rewarded

Dies wird in der Tat von den meisten Teilnehmern gelebt. Der Stellenwert von Legal Geek zeigt sich auch an den Sponsonen des Events, z.B. dem Dentons NextLaw Lab und einer Londoner Kanzlei namens Freshfields.

Als Ergebnis des Tages in Shoreditch lässt sich festhalten:

  • Bei Legal Tech und Legal Innovation ist UK Deutschland strukturell und praktisch deutlich voraus.
  • In Sachen Legal Tech bemüht man sich um folgende Message: Die Zeit der Buzzwords ist vorbei – Schlagworte werden mit Inhalt gefüllt – Praxis vor Vision. Das gelingt zum Teil ganz gut, doch auch bei den Legal Geeks ist man vor Allgemeinplätzen und zuweilen etwas heißerer Luft nicht gewahrt.
  • Die Diskussion beschränkt sich erfreulicherweise nicht auf Legal Tech, sondern umfasst Legal Innovation, Cultural Change, Legal Processes, Diversity, uvm.

Strukturen in UK

Aus deutscher Sicht vielleicht ein Vorbild ist das Ökosystem für Innovationen im Rechtsmarkt in UK. Gleich zu Beginn der Konferenz stellte Matthew Ryder, Deputy Mayor von London, das Innovationsprogramm der Stadt im juristischen Bereich vor.

„In the past, hardcopies couldn’t be the right way – today, there must be a better way than we work right now.“

Das Zitat „SRA Innovate is open to existing firms and new entrants, alternative business structures (ABS) and traditional law firms“ verdeutlicht, dass hier nicht grundsätzlich gegen neue Geschäftsmodelle, sondern mit Ihnen gearbeitet werden soll.

Achtung, Filterblase!

Aber auch hier besteht die Gefahr einer Filterblase. Natürlich treffen sich bei der Legal Geek nur die besonders innovativ Denkenden. So bestätigt mir beim Pausentee auch ein Softwareunternehmer aus Mittelengland, dass traditionelle Strukturen und fehlender Innovationswillen in Kanzleien und Rechtsabteilungen kein exklusiv deutsches Phänomen ist.

Dennoch: Wenn in deutschen Konferenzen von institutioneller Förderung von „Legal Tech“ die Rede ist, wird zumeist auf den Inkubator der Pariser Anwaltskammer verwiesen. Ich wüsste aus dem Stehgreif nicht, welche deutsche öffentliche Rechtsinstitution ich als Innovationstreiber auf eine Bühne stellen würde. Allein das Bestehen innovationsfreundlicher institutioneller Programme in UK und Frankreich verdeutlicht ein vorwärtsgewandtes Denken. Alle Probleme löst dies freilich auch nicht.

Es ist zudem nicht wegzudiskutieren, dass es law firms in UK und zum Teil der USA sind, die eigene Innovationsstrukturen schaffen (Dentons mit NextLaw Labs, Allen&Overy mit Fuse, CMS mit equIP, um nur die bei der Legal Geek Anwesenden zu nennen). Wo bleiben Innovationsprogramme großer deutscher Kanzleien? Oder – verrückt! – eine deutsche oder europäische Kooperationslösung? Immerhin – es besteht die die berechtigte Hoffnung, dass sich daran demnächst in Frankfurt etwas ändern wird.

It‘s all about Culture

Das Thema Kultur und Vielfalt zog sich an vielen Stellen durch die Konferenz (und verdeutlicht auch hier den deutschen Nachholbedarf). Auch bei Anwälten in UK gibt es keine Gender Equality – aber ein Frauenanteil von ca. 35% (persönliche Schätzung) bei der Legal Geek und ein Women in Law Tech Panel zeigen doch eine Tendenz in die richtige Richtung.

Bei den deutschen Legal Tech Konferenzen des Jahres 2017 war eine vergleichbare Quote (vor allem auf der Bühne) zumeist ein fernes Wunschdenken. Leider gilt das auch für unsere Legal Tech-Startups. (*Mir ist bewusst, dass Diversity sich nicht nur auf die Geschlechterquote bezieht. Alles Weitere würde hier aber den Rahmen sprengen.)

Ein weiteres „kulturelles“ Thema ist die Anwendung von Innovationsmethoden, die sich weitgehend auf Unternehmenskultur auswirken. Design Thinking und Agile, flache Hierarchien, Intrapreneurship und Open Space waren auch auf der Legal Geek ein Thema.  Hinter diesen Schlagworten stecken in der freien Wirtschaft und Wissenschaft erprobte Modelle, die bereits ganze Branchen (weit größer als unsere) nachhaltig geprägt haben. Hier gilt es aus Sicht von Anwälten: Konzepte verstehen und auf die eigene Unternehmenswirklichkeit adaptieren (mehr dazu bald vom Legal Design Summit aus Helsinki und auch in unserem Legal Tech & Innovation Forum).

Legal Tech – praktische Ansätze?

Nicht nur bei unserer vergangenen Demo Night, auch bei der Legal Geek 2017 herrschte das Motto, sich auf praktische Anwendungen zu konzentrieren. So gab es natürlich auch eine Vielzahl von Tech zu sehen (und zwar Legal-, Reg-, Insur- und Prop-).

Hervorheben möchte ich den Vortrag des Intraprenreurs Alex Smith der US-Kanzlei Reed Smith über deren Legal Tech-Strategie. Angesichts der schieren Zahl von Anwendungen kann die Suche nach der passenden Lösung verzweifeln lassen.

Nur wer sich seine internen Prozesse gegenwärtige, kann in diesem Chaos die richtigen Antworten finden. Dies hat zur Folge, dass nicht Legal Tech im Vordergrund des Innovationsprozesses steht, sondern in erster Linie die Mitarbeiter und Mandanten, dann die gewünschten Arbeitsprozesse und erst im Anschluss die entsprechende(n) IT-Lösung(en). 

Kurz: Legal Tech follows function.

Was bleibt?

Man kann als deutscher Anwalt viel von UK lernen. Das bedeutet wiederum nicht, dass jede dort oder etwa den USA gefundene Lösung auch in Deutschland oder einer bestimmten Kanzlei oder Rechtsabteilung zum gewünschten Erfolg führt. Zudem darf man sich von einzelnen Erfolgsmeldungen nicht verrückt machen lassen – auch in UK müssen Innovatoren noch dicke Bretter bohren.

Der US-Markt hingegen ist kein Maßstab für Deutschland oder Kontinentaleuropa. Jules Miller vom US-Investor LunaCap Ventures beschrieb in einem straffen Vortrag ansehnlich, dass der US-Legal Tech-Markt zwar inzwischen auch für große VCs interessant wird.

Es müsse jedoch jedem Startup klar sein, dass nur ein potentielles Unicorn tatsächlich VC-Money aufnehmen könne und solle. Davon – und das sehe ich ähnlich – sei der europäische Legal Tech-Markt noch ein ordentliches Stück entfernt.

Innerhalb von Europa sollte man vielmehr die Innovatoren vor der Haustür als Beispiel nehmen. In Estland und z.B. vielen skandinavischen Ländern ist juristische Arbeit schon ganz selbstverständlich digitalisiert. Auch vermeintlich weiche Themen wie Design Thinking, Business Modelling oder Diversity nehmen in anderen europäischen Ländern einen deutlich höheren Stellenwert ein. Die von der ELTA vorangetriebene europäische Vernetzung kann hier wertvolle Verknüpfungen und Kooperationen herstellen.

Um den eigenen Horizont zu erweitern, sind Veranstaltungen wie die Legal Geek, die diesjährige ELTA Konferenz oder der anstehende Legal Design Summit in Helsinki am 1. November ein weiterer Tropfen, der den Stein höhlt und ein willkommener Ausbruch aus der eigenen Filterblase.

Ein Gruppenbild der „deutschen Delegation“ bei der Legal Geek, u.a. mit Vertretern der ELTA, streamlaw, rfrnz, Anwalt.de und Soldan.

Der Bericht wurde verfasst von Tamay Schimang. Tamay Schimang ist Rechtsanwalt und Mitgründer von streamlaw. streamlaw entwickelt eine Software für Kommunikationsmanagement und Collaboration für Juristen und berät  Kanzleien und Rechtsabteilungen in Fragen der Digitalisierung. Tamay beschäftigt sich u.a. mit Legal Design, Legal Project Management und der Übertragung von Innovationstechniken auf den juristischen Alltag.